Die menschliche Stimme vermag vieles auszudrücken, am intensivsten jedoch erscheint sie, wenn sie gar nicht zu vernehmen ist. Eine Welt der Stille auszuhalten, das ist die unerträgliche Aufgabe, der sich die von Tilda Swinton gespielte Frau in dem 30-minütigen Kurzfilm The Human Voice stellen muss. Nach einem Theaterstück von Jean Cocteau inszeniert Pedro Almodóvar seinen ersten englischsprachigen Film – es ist ein Monolog der Swinton-Figur, die zeitgemäß zwischen Zwie- und Selbstgespräch laviert. Die Stöpsel im Ohr lassen offen, ob sich am anderen Ende der Leitung ihr Ex-Geliebter José befindet oder nicht. Das Warten auf ihn, das Gefühl des Verlassenseins, die Spuren des Schmerzes dagegen werden offenkundig in den Worten einer Frau, die bei allem Unglück den Triumph sucht. Leid und Herrlichkeit – das ist ja nicht ganz zufällig der Titel des letzten großartigen Almodóvar-Films.
Die typische Farbenpracht des Almodóvar-Kosmos wird hier von einer tiefen Melancholie verschleiert, und doch erzählt The Human Voice auch von Blüte und Aufbruch. Tilda Swinton verkörpert dies mit einem angenehmen Grad an Selbstbezüglichkeit ("Mein Stoffwechsel verbrennt alles"), und die Frage nach dem äußeren Gefragtsein, die vermutlich jeden Menschen umtreibt, aber für Schauspieler:innen existenzielle Bedeutung hat, beantwortet sie ziemlich lakonisch. Ja, The Human Voice ist ein Stück übers Älterwerden, und auch über einen erzwungenen Reifeprozess, der wahrlich nicht alle Ängste und Zwänge auslöschen kann, von denen Tilda Swintons Figur beherrscht wird, sobald sie die Beherrschung über sich verliert. Dann schwingt sie die Axt, nimmt zu viele Tabletten (und doch zu wenige, um der Misere endgültig ein Ende zu bereiten) oder vergießt Benzin statt Tränen. Diese Frau brennt, nicht nur ihr Metabolismus, nein, auch das Herz. Aber The Human Voice ist eben auch ein Stück über den ewig jungen Traum von der Liebe.
Der Regisseur und sein Star brennen auch füreinander © Nico Bustos
Könnte man The Human Voice eine moralische Ode an die Leidenschaft nennen? Durchaus. Schließlich ist diese halbe Stunde zwischen rudimentärem Theater und großem Kino, zwischen der phantastischen Welt des Vorgestellten und dem harten Boden der emotionalen Tatsachen perfekt durchkomponiert, virtuos fotografiert und mit Grandezza gespielt. Man könnte auch sagen: The Human Voice ist die Geschichte eines einzigen Augenblicks, in dem sich schiere Verzweiflung in Freiheit verwandelt – und in dem eigentlich nichts gesagt wird, weil es nichts mehr zu sagen gibt. Natürlich lässt uns Almodóvar nicht im Elend versinken. Und wenn wir in diesem Film jemandem ein Happy-End von Herzen gönnen, dann ist es der Hund. Er ist es doch auch, der es wie kein Zweiter versteht, menschliche Stimmen zu deuten.
WF