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Bild zu Vernon Subutex: Endlich wieder eine Verfilmung von Virginie Despentes

Vernon Subutex: Endlich wieder eine Verfilmung von Virginie Despentes

Mit der Serien-Adaption von "Das Leben des Vernon Subutex" wird nicht nur eine der erfolgreichsten Romantrilogien der letzten Jahre verfilmt, sondern endlich auch wieder eine Geschichte von Virginie Despentes, die als Autorin und Regisseurin schon früh die Kulturwelt aufmischte.

Filmgeschichten/Drehmomente 16. Juni 2022

Virginie Despentes hat einige der aggressivsten, faszinierendsten und charismatischsten Frauencharaktere der jüngeren französischen Literatur erschaffen. In ihrem Debüt-Roman "Baise-moi – Fick mich" morden, feiern, prügeln und vögeln sich Nadine und Manu durch Frankreich, in "Die Unberührte" ziehen wir mit der Nackttänzerin Louise durch die Peepshow-Lokale in Lyon, in "Pauline und Claudine" tauschen die beiden Zwillingsschwestern gleichen Namens die Identitäten, als eine von beiden Selbstmord begeht und in "Apokalypse Baby" treffen wir auf die Detektivin Lucie Toledo, die mit der "Hyäne" – einer lesbischen Hackerin – ein verschwundenes Teenagermädchen sucht. Die "Hyäne" spielt auch eine Rolle in Virginie Despentes Vernon Subutex-Trilogie, die sich um den ehemaligen Plattenladenbesitzer gleichen Namens dreht. Schon der erste Band von "Das Leben des Vernon Subutex" war ein Bestseller und wurde auch und vor allem in ihrer Heimat gefeiert, wo Despentes vom Feuilleton mal als "weibliche Houellebecq" bezeichnet wurde – eine Formulierung, die sie vermutlich zum Kotzen gebracht hätte.

Romain Duris als Vernon Subutex © Xavier Lahache - JE Films / Tetra Media Fiction / Canal+

Romain Duris als Vernon Subutex © Xavier Lahache - JE Films / Tetra Media Fiction / Canal+

"Wäre Subutex eine Frau, wäre der Roman anders wahrgenommen worden."

Die Subutex-Geschichten sind und waren dabei alles andere als leichte Kost: Despentes konzentriert sich nämlich nicht nur auf den Titelhelden, sondern entwirft mit einem guten Dutzend Charakteren eine Art Sozialpanorama Frankreichs. Despentes Charaktere sind dabei mal verzweifelt, mal wütend, mal rücksichtlos, mal zynisch, selten durchgehend sympathisch – und trotzdem zutiefst menschlich. Viele fühlten sich nach der Lektüre an Balzacs "Die menschliche Komödie" erinnert. Dass Virginie Despentes ganz genau weiß, wie die Kulturwelt funktioniert, die sie lange verschmäht und verrissen hat, bis ihr Essayband "King Kong Theorie" zum feministischen Standardwerk wurde, zeigt die Wahl eines männlichen Charakters für ihre Trilogie. Despentes erklärte dem "SZ Magazin" in einem Interview auf die Frage, warum sie nicht wie sonst eine starke Frau in den Mittelpunkt stellt: "Erstens, weil Musik, also Punkrock, wirklich wichtig für das Buch ist. Da war es einfacher, einen Mann zu nehmen. Die meisten Punkrocker waren doch Jungs. Zweitens, weil alle meine Romane bisher Frauen als Helden hatten. Ich musste sie immer verteidigen und hatte einfach Lust auf etwas anderes. Und ich glaube, dass mein Unterbewusstsein mir eingeflüstert hat, ein Buch mit einem Mann als Protagonisten könnte ernster genommen werden. Und so ist es. Ich bin mir sicher, wenn an diesem Roman alles genauso wäre, nur Subutex wäre eine Frau, dann wäre er anders wahrgenommen worden.“ Denn es sei ja so: "Jetzt ist Subutex ein Gesellschaftsroman, ein Roman über Paris, über unsere Zeit, über Politik. Wäre Subutex eine Frau gewesen, wäre der Roman als die Geschichte dieser Frau gelesen worden." Virginie Despentes besteht aus diesem Grunde übrigens auch darauf, dass ihr Vornahme nicht mehr auf dem Cover steht. "Ich glaube, dass allein ein weiblicher Vorname dafür sorgt, dass weniger Männer dich lesen." Damit spricht sie eine tragische Wahrheit aus, die auch in die Anfangszeit ihrer Karriere weist, zum Debütroman "Baise moi – Fick mich" und der gleichnamigen Verfilmung, bei der sie Regie führte.

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Ein visueller, feministischer Wutausbruch

"Baise-moi" wurde als Roman im Jahr 1994 veröffentlicht, der Film erschien im Jahr 2000. Beide galten als "Skandal", obwohl sie von Dingen erzählten, die beim Publikum hoch im Kurs standen. Schließlich ging es um Sex, Exzess, Rache und eine Art "cooler" Gewalt, bei der lässig und beiläufig Menschen abgeknallt werden und man sich danach höchstens noch die Sonnenbrille geraderückt. Was aber bei einem Quentin Tarantino im Film oder einem James Ellroy in der Literatur gefeiert wurde, schockierte auf einmal, weil es von einer jungen Autorin wie Virginie Despentes kam, die ein roughes Leben hatte, offen über ihre Prostitutions- und Gewalterfahrungen sprach, durch und durch Punk war und klare Meinungen zur französischen Kulturelite und deren Doppelmoral hatte. "Baise-moi – Fick mich" ist eine Art Revenge- und Roadmovie, das seinen Anfang nimmt, als die junge Frau Manu von mehreren Männern vergewaltigt wird. Auch Despentes wurde als junge Frau vergewaltigt und erzählt davon in "King Kong Theorie". Als Manus Bruder meint, dass sie sich das selbst eingebrockt habe, erschießt sie ihn kurzerhand und flüchtet. Dabei trifft sie auf Nadine, die gerade ihre spießige Mitbewohnerin erwürgt hat und Zeugin des Mordes an ihrem besten Freund wurde. Die beiden haben also nichts mehr zu verlieren lassen ihrer Wut freien Lauf – was vor allem die Männer abbekommen. Eine Geschichte mit dieser aggressiven Sexualiät, Härte, Coolness und Skrupellosigkeit hatte man aus weiblicher Perspektive damals selten gesehen oder gelesen. Man kann also durchaus sagen, dass Despentes‘ Debüt ein Vorläufer war für aktuelle Bücher voll weiblicher Wut wie "Animal" von Lisa Taddeo oder "Die Wut, die bleibt" von Mareicke Fallwickl.

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"Der Zuschauer wird nach allen Regeln der Kunst terrorisiert."

Virginie Despentes verfilmte ihre Geschichte gemeinsam mit Coralie Trinh Thi, mit der sie sich Regie und Drehbuch teilte und wählte als Hauptdarstellerinnen Karen Lancaume als Nadine und Raffaëla Anderson als Manu – alle drei Frauen bekannte Pornodarstellerinnen. In dem Interview mit dem SZ Magazin sagt sie dazu: "Die ganze Stimmung im Filmgeschäft war super­ sexistisch, jedenfalls in Frankreich. Da gab es übrigens auch keinen nennenswerten Unterschied zwischen normalen Filmen und Pornofilmen, die Atmosphäre war sexuell aufgeladen, man hat die Frauen schlecht behandelt, erniedrigt, schlecht bezahlt, seit den Fünfzigerjahren lief das so, durch alle Jahrzehnte hindurch. Das Kino hat auch immer mächtig Propaganda für die perfekte, anständige, weibliche Frau gemacht. Als ich meinen ersten Film gedreht habe, im Jahr 2000, und meine Vorstellungen durchgesetzt habe, mit zwei Hauptdarstellerinnen, die sonst Pornos drehten, habe ich sofort gemerkt, was für ein scharfer Wind mir entgegenschlug. Der Film hatte dann auch nicht die geringste Chance bei den Kritikern. Er wurde nach wenigen Tagen verboten, wegen Pornografie." Angetrieben wurde die Zensurkampagne übrigens von den alten Männern der rechtsextremen Partei "Mouvement national républicain". Trotzdem ist der Film, der bisweilen wie eine Dokumentation inszeniert wurde, unter Kenner*innen verehrt und gefürchtet. Wie das "Lexikon des internationalen Films" sehr treffend feststellt: "Der Film reflektiert die Geschichte in einer schonungslos direkten, pseudo-dokumentarischen Machart, die den Zuschauer nach allen Regeln der Kunst terrorisiert. Durch seine fatale Nähe zum visuellen Jargon der Pornoindustrie und in seiner lustvollen Darstellung der Gewaltorgien geht der Film über das meiste dessen hinaus, was bisher im Kino zu sehen war, und verlangt vom Zuschauer ein Höchstmaß an Belastbarkeit."

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Despentes geht in Serie

Es wurde also wirklich Zeit, dass Virginie Despentes mal wieder verfilmt wird – und das Episoden-Mosaik des Romans bietet eine serielle Darstellung natürlich an. Die erste Staffel, die auf die ersten beiden Bände der Trilogie Bezug nimmt, ist ab sofort als VOD erhältlich. Wir sehen darin, wie Vernon Subutex – der ehemals coolste Plattenladenbesitzer der Stadt – zwischen Kippen, Musikhören und Online-Pornos vereinsamt, seine Wohnung verliert, versucht bei alten Freund:innen unterzukommen und in die Obdachlosigkeit abdriftet. Um ihn herum fächert sich nach und nach ein faszinierendes Ensemble auf, in dem viele aktuelle Konflikte und Erfahrungen der französischen Gesellschaft verhandelt werden. Für die Umsetzung ist die Regisseurin und Drehbuchautorin Cathy Verney zuständig. Die Rolle des Subutex spielt Romain Duris, der zum ersten Mal seit Jahren eine Serienrolle annahm. Duris kennt man natürlich vor allem aus L'Auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr von Cédric Klapisch und den Filmen, die darauf folgten, in denen man Duris als Xavier beim (mehr oder weniger) Erwachsenwerden zuschauen kann. Romain Duris spielt Vernon in einer perfekten Mischung aus Verwahrlosung und Coolness. In der Serie wie im Roman bereichert Vernon auf besondere Weise sein Umfeld und wird mit Hilfe seiner Liebe zur Musik auf unglamouröse Weise zu einer Art Guru, der diese Rolle aber eher im Vorbeilaufen erfüllt. Romain Duris beschreibt ihn so: "Vernon ist jemand mit dieser Grundhaltung: Alles nicht so schlimm. Man nimmt ihm etwas weg? Dann ist es so! Jemand stirbt? Da muss er durch! Trotz aller Momente des Scheiterns und der Trauer verkörpert Vernon eine große Lebenskraft."

Die guten alten Zeiten: Dreh einer Rückblicks-Szene, in der Vernons Plattenladen noch brummte. © Xavier Lahache - JE Films / Tetra Media Fiction / Canal+

Die guten alten Zeiten: Dreh einer Rückblicks-Szene, in der Vernons Plattenladen noch brummte. © Xavier Lahache - JE Films / Tetra Media Fiction / Canal+

Cathy Verney sagt über Vernon Subutex: "Es stimmt, dass Vernon das Leben mit einer gewissen Arglosigkeit angeht. Daher ist er auch so anziehend. Vernon kann Menschen zusammenbringen, und zwar nicht mit Hilfe von Nostalgie, sondern weil es ihm gelingt, Menschen mit der Sprache der Musik anzusprechen. Diese Kraft wirkt wie eine kollektive Hoffnung, ohne programmatisch zu werden. Durch diese Attribute ähnelt er einem Propheten. Man weiß nie, ob er unbewusst handelt oder ein Weiser ist." Und genau darin steckt dann auch die schönste Pointe, die Virginie Despentes‘ Romane der Welt geschenkt haben: Denn trotz all dem Zynismus, der Doppelmoral und den übergriffigen oder rücksichtlosen Gestalten, ist "Das Leben des Vernon Subutex" auch eine unverhohlene Liebeserklärung an die Musik – die im Buch und auch in der Serie durch und durch fantastisch ist. Diese Musik verbindet all diese Charaktere im Buch und in der Serie – und es ist auch das, was Virginie Despentes mal kurz an das Gute in ihren Mitmenschen glauben lässt: "Tanzen und Musik hören ist eigentlich alles, was sie alle miteinander machen können. Und ich bin immer gern auf Konzerte gegangen. Es hat mich gewundert, dass ich da unter Tausenden stehen konnte, ohne mich zu quälen. Wir alle haben dieselbe Musik gehört und so etwas wie Glück empfunden. Ein kollektives Glück. Ich gehe immer noch gern auf Konzerte." Genau da würde man sie gerne mal treffen – und bei einem Bier nach der Zugabe fragen, wie sie diese Serie denn so findet.

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