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Welche Apokalypse hätten Sie denn gerne?

Im neuen Kinofilm Animalia (Kinostart: 11. Januar) mutieren einige Menschen zu tierähnlichen Zwitterwesen, die in der Gesellschaft Angst und Hass auslösen. Apokalyptisch angehauchte Zukunftsvisionen sind in der Filmwelt seit jeher hoch im Kurs. Wir schauen auf einige besonders gelungene Beispiele aus dem ARTHAUS-Katalog.

04. Januar 2024

Haben Sie eine Lieblings-Apokalypse? Die Frage klingt ein wenig seltsam, verbindet man mit diesem Wort doch vor allem Unheil, biblischen Horror, Untergang, Unheil, Grauen oder gleich das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Allesamt also eher, nun ja, unangenehme Dinge. Andererseits ist die Frage mehr als berechtigt, denn der Weltuntergang ist seit Jahrzehnten schlichtweg ein Verkaufsrenner. Kaum ein Superhelden-Film kommt ohne drohenden Weltuntergang aus, James-Bond- oder Mission-Impossible-Bösewichte haben stets einen Virus oder eine Bombe in petto und gerade erst hat die in Distrikten aufgeteilte Welt aus Die Tribute von Panem mit The Ballad of Songbirds & Snakes wieder die Tore geöffnet. Letzt genannter Film ist eine gute Brücke in die Welt der Literatur, wo die Apokalypse seit jeher für Angst, Schrecken, Unterhaltung und kluge Einsichten sorgt: Sei es in der Young-Adult-Literatur, wo neben den "Hunger Games" auch "Die Bestimmung" oder die "Maze Runner" unterwegs sind, oder in der todernsten Literatur, wo unter anderem "Die Straße" von Corman McCarthy, "The Stand" von Stephen King, "1984" von George Orwell, "Der Report der Magd" von Margaret Atwood oder für Connaisseur:innen "Eis" von Anna Kavan im Buchregal warten. Ein Serienhiglight der letzten Jahre war zudem die HBO-Produktion The Last Of Us – die Verfilmung eines atmosphärischen Endzeit-Videogames. Ein Medium, das ebenfalls einen bunten Strauß an apokalyptischen Geschichten zu bieten hat. Im Angebot wären bei all den Romanen, Serien, Filmen und Games: tödliche Viren, riesige Bomben, herabrasende Meteoriten, extremer Klimawandel, eskalierende Weltkriege, Zombies oder Attacken von Außerirdischen, die ein wenig grimmiger als E.T. unterwegs sind.

Der finale Weltuntergang bleibt in der Regel aus

Das Interessante bei all diesen Möglichkeiten ist: Ein richtiges Weltenende im engsten Wortsinn haben sie nicht zu bieten. Selbst, wenn der Planet ziemlich zerrüttet aussieht oder auch mal in die Luft fliegen sollte: Einige Menschen überleben immer – es braucht ja schließlich noch Bezugspunkte und Charaktere, mit den man sich identifizieren kann. Das, was wir apokalyptische Geschichten nennen, zeigt vielmehr Szenarien, die bestehende Gefahren so eskalieren lassen, dass wir uns interessante (und manchmal unangenehme) Fragen zu unserem heutigen Lebensstil stellen müssen. Oder aber, diese veränderte, gefährliche Welt zielt auf unsere Menschlichkeit und unsere Anpassungsfähigkeit. Wäre man für eine Welt der Anarchie gerüstet? Würden die zwischenmenschlichen Errungenschaften der Gesellschaft erhalten bleiben oder das Recht der Stärkeren gelten? Und, auch das darf nicht vergessen werden: Eine zu großen Teilen zerstörte oder veränderte Welt kann oft eine faszinierende Ästhetik entwickeln.

© Émile (Paul Kircher), der sich bald verwandeln wird und sein Vater François (Romain Duris) in dem Wald, in dem ihre mutierte Mutter als Wolf-ähnliches Wesen umherstreift.

© Émile (Paul Kircher), der sich bald verwandeln wird und sein Vater François (Romain Duris) in dem Wald, in dem ihre mutierte Mutter als Wolf-ähnliches Wesen umherstreift.

Die Welt von Animalia

Damit wären wir bei dem Film, der uns die Inspiration für diesen Text lieferte: In Animalia von Thomas Cailley befällt ein Virus einige Menschen – und lässt ihre Körper mutieren. Es ist, als würden sie mit der DNS eines bestimmten Tieres verschmelzen. Die Mutter des 16-jährigen Émile (Paul Kircher) verwandelt sich in ein Wolf-ähnliches Wesen. Émile, der einmal von ihr attackiert wurde, ekelt sich vor ihr und reist nur widerwillig mit seinem Vater François (Romain Duris) in jenes Dorf, in dem die Mensch-Tierwesen in einem von der Armee geführten Speziallager verwahrt werden. Als der Transport jedoch auf einer Waldstraße verunglückt, können sich die Wesen befreien und in den riesigen Wald flüchten, der das Dorf umgibt. Und dann beginnt auch Émiles Körper sich zu verändern …

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Die in Animalia gezeigten Begegnungen sind ebenso furchteinflößend wie wunderschön. Wie die Menschen in Thomas Cailleys Welt muss man sich entscheiden, ob man angewidert ist, oder eine befremdliche Schönheit in diesen Zwitterwesen sieht. Man überlegt, ob diese Wesen die Menschen attackieren, weil sie Angst vor ihnen und ihrem Handeln haben, oder wirklich einem Jagdtrieb ausgeliefert sind, der auch in Menschen Nahrung sieht. Animalia bleibt dabei eine intime, ergreifende Coming-of-Age-Geschichte, aber der Film zeigt eben auch, wie allein die Existenz dieser Mutationen unser Verständnis vom Menschsein und vom Zusammenleben über den Haufen wirft.

Was wäre wenn die Toten äußerlich unversehrt zurückkehren würden? Dieser Frage geht die französische Serie "The Returned" nach. © Jerome Prebois

Was wäre wenn die Toten äußerlich unversehrt zurückkehren würden? Dieser Frage geht die französische Serie "The Returned" nach. © Jerome Prebois

Was wäre wenn …?

Diese erzählerischen Versuchsanordnungen machen oft den Reiz einer apokalyptischen Geschichte aus: Vor allem, wenn sie nicht von einem internationalen Hot-Spot zum anderen rauscht oder übermenschliche Weltretter*innen aufbringt, wie es Blockbuster-Produktionen so gerne tun, sondern sehr genau auf das Menschliche schaut. Man muss nicht kollabierende Großstädte, riesige Explosionen oder entfesselte Naturgewalten zeigen: Oft reicht schon eine beunruhigende Idee, die man konsequent auserzählt: Die französische Serie The Returned ist da ein gutes Beispiel. Sie spielt ebenfalls in einem Dorf, bzw. einer Kleinstadt, in der plötzlich vor Jahren verstorbene Menschen, wieder durch die Straßen wandeln. Und zwar nicht als hirnfressende, geifernde Zombies, sondern als verwirrte, verlorene Menschen, die selbst nicht wissen, wie ihnen geschieht.

Wie geht man damit um, wenn plötzlich der verstorbene Sohn an der Tür klingelt? Und allein mit seiner bloßen Existenz die Grundfesten des Lebens erschüttert? Der nach einem Roman von José Saramago entstandene Film Die Stadt der Blinden geht ähnlich vor: Hier ist die Wahrnehmung die entscheiden Stellschraube: Saramago und Regisseur Fernandeo Meirelles nehmen den Einwohner:innen einer namenlosen Stadt von jetzt auf gleich das Augenlicht – und beobachten die Auswirkungen auf Gesellschaft und Einzelschicksale. Das ist im Groben auch der Ansatz der tollen Serie The Collapse vom französischen Filmkollektiv Les Parasites (hier gibt's ein Interview mit den Macher*innen): In den acht kurzen Folgen sehen wir kleine Kammerspiele vor einer drohenden Apokalypse. Jede Folge konzentriert sich dabei auf eine Handvoll Menschen an Schlüsselorten wie "Der Supermarkt", "Das Altersheim", "Der Flugplatz" oder "Die Live-Sendung".

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The Collapse wurde dabei zurecht für seine Realitätsnähe gelobt. Die Bilder und Dialoge wirken schlüssig – und sind gerade deshalb beunruhigend. Das sagte man auch über die britische TV-Serie Years and Years. Drehbuchautor und Showrunner Russell T. Davies konzentriert sich dabei auf die Familie Lyons aus Manchester. Er nimmt die 2019 sehr reale Ängste vor Populismus, einer zu schnellen technischen Weiterentwicklung, einer stetig wachsenden sozialen Ungleichheit und dem rasant voranschreitenden Klimawandel und drückt sozusagen auf die Fast-Forward-Taste. Was das alles mit dem Alltag einer englischen Familie macht, kann man in den sechs Episoden sehen, die uns bis ins Jahr 2029 führen.

Die Poesie und der Unterhaltungswert der Apokalypse

Apokalyptisch anmutende Motive müssen jedoch nicht immer das große gesellschaftskritische Fass aufmachen. Regisseure wie Wim Wenders (Bis ans Ende der Welt), Richard Kelly (Donnie Darko) oder David Lynch (Inland Empire) nutzen sie eher auf poetische Weise, mahlen sich dunkle Visionen von Untergang und Zerstörung aus oder nutzen sie als eine von vielen möglichen Dynamiken für eine Geschichte, die weit mehr und weit weniger als das mögliche Ende des Lebens, wie wir es kennen, erzählen wollen. Was auch für Filme wie Die Klapperschlange oder Sie leben! gilt: John Carpenter will hier in erster Linie actionreich unterhalten – und nutzt diese mal trashigen, mal perfekt getimten Action-Sci-Fi-Filme als eine Art trojanisches Pferd für eine sehr reale Gesellschaftskritik: In Sie leben! zum Beispiel an der unmenschlichen Sozialpolitik des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, die zwar nicht die Welt zum Kollabieren bringt – aber den Alltag vieler hart arbeitender Menschen.

Diese Außerirdischen wollen die Welt nicht zerstören, sondern gefügig machen. Sie leben! ist dabei eher unterhaltsam als furchteinflößend – und haut seine Message eher plakativ raus. © © 1988 STUDIOCANAL S.A.S. All Rights Reserved.

Diese Außerirdischen wollen die Welt nicht zerstören, sondern gefügig machen. Sie leben! ist dabei eher unterhaltsam als furchteinflößend – und haut seine Message eher plakativ raus. © © 1988 STUDIOCANAL S.A.S. All Rights Reserved.

Also, welche der hier genannten Apokalypsen hat Ihnen denn nun am besten gefallen? Wir selbst wissen das auch nicht so richtig. Einige sind auf bizarre Weise wunderschön anzusehen, einige lassen uns garantiert heute Nacht schlecht schlafen. Vielleicht sollte also eher der Maßstab sein: Welche Apokalypse hat Sie auf die interessantesten Gedanken gebracht? Denn das wollen und sollen sie am Ende ja irgendwie alle. Und wer weiß, vielleicht kommen ja auch wir noch zu Lebzeiten in eine Situation, in der uns die Ideen all dieser tollen Serien und Filme noch ganz praktisch weiterhelfen können …

Daniel Koch

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