Vor 60 Jahren gehörte Edgar Reitz zu den Initiatoren des Oberhausener Manifests, das "Papas Kino" für tot erklärte. Sein eigenes filmisches Schaffen steht im Zeichen des damaligen Aufbruchs und der Entwicklung des neuen deutschen Autorenfilms. Bei ARTHAUS erschien sowohl die Box Edgar Reitz – Das Frühwerk als auch die absurd-komisch-experimentellen Geschichten vom Kübelkind. Die verwirklichte er gemeinsam mit Ulla Stöckl, und man könnte die Kurzfilme heute als Andeutung der Idee des seriellen Erzählens verstehen, für das Reitz später mit seiner Heimat-Trilogie berühmt geworden ist, die bei uns im sehenswürdigen Paket als Heimat – Eine deutsche Chronik/ Director’s Cut Kinofassung/ Digital Remastered vorliegt – mit einer Laufzeit von 890 Minuten. Dieses Epos nahm sowohl heutige Sehgewohnheiten vorweg, denn Heimat ist vermutlich der erste deutsche Autorenfilm, der zum Bingewatching einlud, und setzt sich gleichsam von der Vernetflixung des Kinos ab, indem die Handlung kein Ziel verfolgt, auf das alles hinausliefe. Die Geschehnisse um die Familie Simon aus Schabbach im Hunsrück umfassen letztlich über hundert Jahre deutsche Zeitgeschichte. Ein künstlerisches Wagnis, das Reitz nicht nur einging, sondern in dem er als Filmemacher aufging.
Der Schabbacher Stammbaum ist mit der Zeit immer weiter gewachsen … © Studiocanal
Mit dem nötigen Raum für seine Figuren und der Geduld des großen Geschichtenerzählers, mit dem Mute des von einer Idee getriebenen Künstlers und dem Impuls, neue Formen auszuprobieren, ließ Reitz mit dem Leben in Schabbach auch sein Lebenswerk wachsen. Wer solch ein Epochen übergreifendes epochales Werk schafft, und zwar über Jahre hinweg, muss persönlich ein besonderes Verhältnis zur Zeit haben. Tatsächlich wurde Edgar Reitz am 1. November 1932 als Sohn eines Uhrmachers geboren. Später schrieb er einmal in einem Essay, das die großen Themen seines bisherigen Lebens, Film und Zeit, verbindet: "Alles, was wir berühren, was wir sehen, was wir lieben und begehren, wird vom Strom der Zeit in jedem Augenblick verschlungen." Viele solcher verschlungenen Momente lassen sich in der Heimat-Trlogie bestaunen, aber schon 1978 schuf er mit Der Schneider von Ulm einen Spielfilm über den Flugpionier Albrecht Ludwig Berbinger, bei dem die Zeit wie im Flug vergeht. Wir gratulieren Edgar Reitz zum 90. Geburtsag und freuen uns auf die Veröffentlichung der 4K restaurierten Fassung seiner HEIMAT 2 am 24. November diesen Jahres. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Arbeit am Heimat-Epos nie endet …
WF