Für viele Cineasten klingt kaum ein Name so sehr nach Kino wie der von Jean-Luc Godard. Es könnte daran liegen, dass der schweizerisch-französische Autorenfilmer und Protagonist der Nouvelle Vague das Medium zeitlebens im Spannungsfeld gesellschaftlicher Entwicklungen verortete – und daher sowohl als künstlerisches wie auch als politisches Ausdrucksmittel sehr ernst nahm. Zudem konnte er sich in den 1960er Jahren derart als Erneuerer des Films hervortun, dass einem seiner späteren Bewunderer, und wir sprechen über Pier Paolo Pasolini, beim ersten Anschauen von Godards bahnbrechenden Debüt Außer Atem noch die Schamesröte ins Gesicht stieg. Mit diesem filmischen Husarenstück hatte sich Godard schon 1960 so weit von den Konventionen des Unterhaltungskinos entfernt, dass Pasolinis bodenständige Kumpels aus dem Arbeitermilieu ihn fragten, warum um Himmels willen er sie mit in die Vorstellung dieses Films geschleift habe. Später schwor Pasolini selbst einer allzu offensichtlichen Anbiederung an die Massenkultur ab, wie er sie eine Weile propagiert hatte, und mischte sich unter diejenigen Schriftsteller*innen und Filmemacher*innen, die der Welt radikalere Perspektiven aufzeigen wollten. Könnte sein, dass Pasolini sich zwischenzeitlich ohne die Kumpels und in aller Ruhe Godards 1963 entstandenen Die Verachtung – Le Mépris ansah und allein deshalb allmählich auf den Trichter kam, wozu das hochstilisierte und realitätsfern wirkende Schaffen Godards gut sein könnte. Immerhin hatte Godard sich hier einen Roman von Pasolinis Landsmann Alberto Moravia zur Vorlage genommen, jenes Autors, der Kommunist war und in der schriftstellerischen Arbeit wiederum geprägt durch die italienische Bewegung des Neorealismus. Als weitere Referenz suchte Godard die Nähe zu Fritz Lang, der in Die Verachtung – Le Mépris sich selbst als Regisseur spielt. Schlachtfeld Kino. Es geht um Kunst vs. Kommerz. Markige Worte lassen den US-amerikanischen Kapitalismus als einen Verwandten des europäischen Faschismus erscheinen – quasi als deren netten Onkel, der statt des Revolvers den Geldbeutel zückt, wenn er das Wort Kultur hört. Mit dieser Sichtweise bewegte sich Godard auf dem Niveau vieler damaliger Linker unterschiedlichster Couleur. Mit den Farben (!), Einstellungen und Schnitten des Films wiederum, in dem dieses Mindset zum Teil der Handlung gehört, bewegte er sich auf dem Gipfel einsamer Klasse.
Wenn man sich heute nur einige wenige Szenen von Die Verachtung – Le Mépris ansieht, mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli als Paar im Zentrum des Dramas um eine zur künstlerischen "Odyssee" geratene Odyssee-Verfilmung, stellt sich ein erstaunlicher Effekt ein. Uns befällt nämlich eine Art von Nostalgie, die weniger die Vergangenheit in Form von "bessere Zeiten" wach ruft, als vielmehr eine Melancholie angesichts der einstig vorherrschenden Idee, die besseren Zeiten, und zwar für möglichst viele Menschen, würden in der Zukunft liegen – also zum Beispiel in unserer jetzigen Gegenwart. Insofern ist das Capri jener Tage und die Villa, in der gedreht wurde, und so gesehen sind auch die Reflexionen über die Verflechtungen von Mammon und Haltung sowie die inszenatorischen Spitzfindigkeiten und ikonischen Bilder, die auch mit Hilfe von Raoul Coutards Kamera und Agnès Guillemots Schnitten hier für die Ewigkeit entstanden, beinahe als Science Fiction zu betrachten. Deren Zauber speist sich jedoch nicht aus Spekulation, wie es sich für dieses der Utopie zugewandte Genre gehört, sondern aus dogmatisch-melancholischen Behauptungen. In Cannes erlebte die 4K-restaurierte Fassung zuletzt eine schillernde Weiderauferstehung. Dabei kommt der Ästhetik und den Ambitionen ihres Schöpfers zugute, dass sie sowohl heute als auch 1963 so sehr aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, dass man sie getrost als zeitlose Klassiker des Kinos bezeichnen kann. Wenn man Kino also nicht G O D A R D buchstabiert, wie sollte man es sonst schreiben? Diese fünf ikonischen Szenen aus einem der wichtigsten Godard-Filme gehören jedenfalls zum A und O der Filmgeschichte.
WF