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Bild zu Celine Song im Interview über Past Lives: "Nora ist so sehr New York und Hae Sung so sehr Seoul."

Celine Song im Interview über Past Lives: "Nora ist so sehr New York und Hae Sung so sehr Seoul."

09. August 2023

Celine Song verbrachte ihre Kindheit in Südkorea. Als sie 12 war, beschlossen ihre Eltern, nach Kanada auszuwandern. Aufgewachsen in einem künstlerischen Haushalt, entwickelte die junge Celine schon früh den Wunsch, sich kreativ auszudrücken. Ihre Eltern unterstützten sie dabei. Mittlerweile lebt Celine Song in New York, wo auch der Hauptteil ihres Regie-Debüts Past Lives – In einem anderen Leben spielt.

Der Film erzählt eine Geschichte, die sie selbst so ähnlich erlebt hat: Nora und Hae Sung sind eng befreundet, als Nora noch in Seoul lebt. Vielleicht sind sie sogar verliebt ineinander – denn kurz bevor Noras Eltern mit ihr nach Toronto auswandern, halten die beiden zum ersten Mal Händchen. Als Nora während ihrer Studentenzeit in New York mit ihrer Identität ringt und sich nach koreanischer Gesellschaft sehnt, nehmen die beiden über das Internet wieder Kontakt auf, sprechen viel über Videochat und scheitern oft am Zeitunterschied und der schlechten Internet-Verbindung. 20 Jahre später beschließt Hae Sung, Nora in New York zu besuchen. Die ist mittlerweile glücklich mit dem Autoren Arthur verheiratet. Aber Hae Sung und sie haben eine besondere Verbindung – etwas, das man in Korea In-Yun, ungefähr übersetzt mit Schicksal, nennt. Bleibt nur die Frage, ob ihr In-Yun bedeutet, dass die beiden das Paar werden sollen, dass sie damals werden konnten.

Nora und Hae Sung als Kinder in Seoul © Arthaus / Studiocanal

Nora und Hae Sung als Kinder in Seoul © Arthaus / Studiocanal

In den Hauptrollen gibt’s dabei eine wahre Traumbesetzung: Greta Lee, bekannt aus The Morning Show, spielt Nora. Teo Yoo, der erst kürzlich in Permission To Leave – Die Frau im Nebel brillierte, spielt Hae Sung und John Magaro (Showing Up) verkörpert den einfühlsamen Arthur. Auch die Kamera sollte an dieser Stelle erwähnt werden: Past Lives – In einem anderem Leben ist nämlich nicht nur inhaltlich ein wunderschöner Film, sondern auch optisch. Und das liegt auch und vor allem an den Bildern von Shabier Kirchner, der schon in den Filmen der Small Axe-Reihe von Steve McQueen bewiesen hat, dass er wie kein anderer menschliche Emotionen und urbanes Leben mit seiner Kamera einfangen kann.

Wir sprachen vor einigen Wochen mit Celine Song via Zoom, als sie im Rahmen des Sundance London 2023 Festivals ungefähr in unserer Zeitzone weilte. Am Tage des Interviews erfuhr sie, dass ihr Film den Publikumspreis des Festivals gewonnen hat. Dazu sagte sie: "Ich glaube sogar, das ist mein erster Award. Und ist es nicht schön, dass er vom Publikum vergeben wurde?" Da können wir nur zustimmen.

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Ich muss zugeben, dass ich den Film unbedingt sehen wollte, als ich den Trailer zum ersten Mal sah. Und als ich ihn dann gesehen hatte, fühlte ich mich auf angenehme Weise aufs Glatteis geführt. Ich hatte nach dem Trailer irgendwie erwartet, eine klassische romantische Komödie zu sehen. Das bekam ich zwar auch. Aber ich bekam viel, viel, viel mehr. Ich habe danach viel über Liebe, Schicksal, Identität und Männlichkeit nachgedacht und gelernt. Als Sie sich entschieden haben, diese Geschichte aus Ihrem Leben fiktional zu erzählen – wollten Sie da mit den Tropes und Erwartungen spielen, die uns das Romcom- und Drama-Kino eingebrockt hat?
Das ist ein interessanter Blickwinkel, aber ich habe gar nicht so viel über Genre nachgedacht. Mich hat eher die Frage beschäftigt: Wie würde das, was ich hier drehe, im wirklichen Leben aussehen? Ich glaube, es ging mehr um die Authentizität einer menschlichen Erfahrung als um Genre-Erwartungen. Ich fühlte mich verpflichtet, diese Geschichte so darzustellen, wie sie sich für mich im Leben anfühlte. Vielleicht habe ich auf diese Weise mit den Erwartungen der Leute gespielt, weil wir dazu neigen, Leben und Film als zwei verschiedene Dinge anzusehen. Für mich war es aber wirklich wichtig, dass der Film sich so anfühlt, wie sich Liebe, Freundschaft, Zeit und Raum für mich als Person, die in dieser Welt lebt, anfühlen. Ich glaube, deshalb finden so viele Menschen eine Verbindung, obwohl sie diese spezielle Geschichte gar nicht erleben konnten: Sie wissen trotzdem, wie sich Liebe, Freundschaft, Zeit und Raum anfühlen, wenn sie aufeinander wirken.

Ihre Antwort deckt sich mit ihrer Arbeitsweise: Sie haben zum Beispiel Teo Yoo und John Magaro – also Hae Sung und Arthur – beim Dreh erst aufeinander treffen lassen, als sie ihre erste gemeinsame Szene haben. Wie kam diese Idee zustande?
Die Darsteller:innen wussten natürlich im Vorfeld, dass ich das so machen werde. Sie fanden das spannend und haben sich gerne drauf eingelassen. Es ging aber sogar noch ein wenig weiter: Ich habe auch dafür gesorgt, dass sich Greta Lee und Teo Yoo nicht berühren, bevor Nora und Hae Sung es im Film tun und sich zum ersten Mal umarmen. Für mich hatte das mit der Art von Körperlichkeit eines Erwachsenen zu tun, die sie meiner Meinung nach zum ersten Mal erleben mussten. Denn das letzte Mal, dass sich die Figuren berührt haben, war, als sie Kinder waren und Händchen hielten. Es hat etwas Erstaunliches, wenn man sieht, dass die Person, mit der man als Kind Händchen gehalten hat, erwachsen ist – und man sich dann als Mann und Frau gegenübersteht. Deshalb hielt ich es für wichtig, diese erste reale Begegnung zu schützen. In dem Film geht es schließlich um außergewöhnliche Begrüßungen und außergewöhnliche Abschiede. Es lohnte sich also, etwas mehr zu tun, um den Schauspielern zu helfen, die Rolle und das Gefühl dieser besonderen Begegnung wirklich einzufangen. Bei Arthur und Hae Sung ist es ähnlich: Sie wurden in der Produktion getrennt gehalten, bis sie die Szene drehten, in der sie sich zum ersten Mal treffen. Gleichzeitig habe ich Greta gebeten Teo und John im Vorfeld viel von ihrem Kollegen zu erzählen. Als sie sich zum ersten Mal in dieser Szene trafen, liefen die Kameras – und tatsächlich ist die erste Aufnahme dieser ganzen Sequenz nun im Film. Das ist wunderschön, finde ich. Das Erstaunliche ist, dass es in diesem Moment im Film darum geht, die Vorstellung von der anderen Person und die Realität der Person, die so greifbar und real ist, in Einklang zu bringen. Wir waren also in der Lage, diesen Moment nachzustellen. Und ich denke, dass es für die Schauspieler hilfreich war, dass sie zunächst einmal in der Lage waren, eine Chemie mit Greta oder Nora aufzubauen, die sich von den anderen unterscheidet. Man spürt in dieser Szene das Unbehagen, aber auch die Wärme.

Hae Sung und Nora in New York © Arthaus / Studiocanal

Hae Sung und Nora in New York © Arthaus / Studiocanal

Im Film gibt es viele Szenen, die kaum Worte brauchen. Mir fiel zum Beispiel auf, dass Nora und Hae Sung schon in ihrer Körperhaltung zeigen, wie unterschiedlich ihre Lebenserfahrung nach der Kindheit war. Als die beiden nach dem ersten Aufeinandertreffen durch den Park in New York laufen, ist Hae Sung angespannt und läuft kerzengerade, wie er eben als hart arbeitender Mann in Südkorea auftreten muss. Nora wiederum hat einen völlig lässigen, manchmal fast tanzenden Gang neben ihm. Ich habe mich gerade in dieser Szene gefragt, die ja viele Themen anrührt, die Sie beschäftigt haben in den letzten Jahren: Wie fühlt es sich an, eine Interpretation des eigenen Lebens mit all den Emotionen, die das mit sich bringt, vor Ihnen als Film entstehen zu sehen? War es weird oder hilfreich zu wissen, dass das im Kern Ihre Geschichte ist?
Es war eher hilfreich, weil ich immer daran zurückdenken konnte, wie sich diese Szene als Leben angefühlt hat. Aber ich glaube, das Wichtigste war, dass man erkennt, dass es eine subjektive Erfahrung gibt, über die man einen Film macht, und dass es eine Objektivierung gibt, die automatisch passiert, wenn man in ein Drehbuch hineinliest. Ich schreibe ja den ganzen Dialog: Auch die Worte der anderen Personen, die ich nicht direkt gesagt und gefühlt habe. Wenn die Schauspieler:innen dazu kommen und ihren eigenen Erfahrungen mitbringen, erfolgt ein weiterer Prozess der Objektivierung. Und dann gibt’s Produzent:innen, die Crew und so weiter. Als ich den Film machte, war dieser Prozess der Objektivierung also allgegenwärtig. Man denkt sich irgendwann: ‚Ich mache doch nur einen Film, richtig?‘ Ich hatte kaum Zeit, mich seltsam zu fühlen, weil ich zum Beispiel versucht habe, das perfekte Sonnenlicht für diese eine Szene einzufangen. Die kleinen praktischen Fragen des Prozesses haben also die großen Fragen über mein Leben schnell abgelöst.

Ihr Film erscheint in den USA beim Verleih A24, der geradezu kultisch verehrt wird. Hier bei uns in Deutschland kommt er bei Studiocanal – wo Sie quasi in Gesellschaft einiger der größten Regisseur:innen der Filmgeschichte sind. Ihr Cast ist auch geradezu spektakulär – vor allem Teo Yoo ist ja in seiner Heimat ein Kinostar. Der Film löst meiner Meinung nach das große Vertrauen dieser Partner:innen mehr als ein, aber selbst für eine respektierte Autorin und Theater-Regisseurin ist das schon erstaunlich, wen Sie alles an Bord geholt haben, finden Sie nicht? Was glauben Sie hat all diese starken Partner:innen so früh überzeugt?

Es war tatsächlich das Drehbuch. Ich glaube fest daran, dass das der Grund ist, warum all diese Menschen mit mir einen Vertrag unterschrieben haben. Ich bin zum ersten Mal eine Filmemacherin, das stimmt. Welchen Grund hätten sie also gehabt, mir zu vertrauen oder an mich zu glauben, wenn sie nicht das Drehbuch überzeugt hätte, das sie alle sehr früh bekommen haben? Darin steht, wie der Film aussehen wird. Ich erkläre darin, welche Ziele ich verfolge. Es bleibt natürlich ein Vertrauensvorschuss, weil es ja sein könnte, dass ich mich am Set als ein totales Arschloch herausstelle, aber sie scheinen von Anfang an gedacht zu haben: ‚Da steht ein Drehbuch dahinter, dass mir gefällt und zu dem ich eine intensive Verbindung spüre.‘

Ich sagte es schon: Nach dem Film musste ich eine Menge Gefühle und Gedanken über ihn äußern. Ich finde es wirklich toll, wie er mich über Liebe und Freundschaft nachdenken lässt und wie er ein anderes Bild vom Mannsein und vom Zusammensein zeigt. Aber ebenso intensiv löste er zwei Wünsche in mir aus: Ich wollte endlich mal wieder nach New York – und ich wollte endlich zum ersten Mal in meinem Leben nach Seoul. Der Film ist wirklich sehr lebendig, man wird in beide Städte hineingezogen und spürt die Atmosphäre dieser so gegensätzlichen Städte. Wie sind Sie und ihr Kameramann Shabier Kirchner das angegangen, damit dieser Vibe auch in den Film strahlt?
Wir haben einfach an jedem Tag in diesen lebendigen, atmenden Städten gedreht. Wir saßen nicht im Studio, wir wollten diese fiktive Geschichte mit dem echten Stadtleben verweben. Das mag pingelig wirken und in der Praxis vieles erschweren, aber wenn man diese Atmosphäre dann tatsächlich einfangen kann, ist es viel aufregender, weil es sich so lebendig, so richtig anfühlt. Wir haben kein Set gebaut, es ist einfach New York City. Eine Stadt, die natürlich dank all der Filme, die dort gedreht wurden, auch eine Art Set ist, das von hunderten von Jahren gebaut wurde. Die Energie des Films hat also auch mit der Energie dieser Städte zu tun. Im Film geht es um verschiedene Orte, an denen wir leben, und um verschiedene Orte, die wir aufsuchen. Deshalb war es für uns wichtig, die Stadt zu zeigen, aber nicht nur das, sondern sie auch mit der Geschichte und den Figuren zu verbinden. Ich glaube nämlich, dass die Charaktere ohne die Städte, in denen sie leben, nicht diese Charaktere wären. Nora ist so sehr New York und Hae Sung ist so sehr Seoul. Und ich glaube, das ist auch der Grund, warum sie nicht zusammen sein können. Als wir den Dreh planten, war uns von Anfang an klar, dass es nur so funktionieren kann.

Unsere sehr kurze Zeit ist nun leider schon fast rum. Eine Frage hätte ich aber noch: Ein Grund, warum Nora und Hae Sung die Verbindung wieder aufnehmen, ist dass Nora viel über Korea nachdenkt – und damit auch über ihre Identität. Nun ist Südkorea gerade ein Land, das weltweit großes Interesse auslöst. Im Streaming gibt es den riesigen Erfolg der koreanischen Drama-Serien auf Netflix, in der Popmusik brechen K-Pop-Bands wie BTS, Blackpink, New Jeans oder Stray Kids Rekorde und in der Literatur gibt es Besteller wie Michelle Zauners "Tränen im Asia-Markt" – eine wunderschöne, autobiografische Geschichte über ihre Verbindung zu ihren koreanischen Wurzeln. Ich denke also, auch Sie werden oft in Gespräche über Südkorea und Themen wie Herkunft und Identität verwickelt, obwohl Sie ja einen Großteil ihres Lebens in Kanada und den USA verbracht haben. Ist es also Fluch oder Segen, mit dieser persönlichen Geschichte auch Teil eines größeren, sehr emotionalen Themas zu sein?

Sagen wir so: Dies ist mein erster Film. Es ist ein Independent Film – kein Blockbuster. Für mich ist also jede Art von Interesse an meinem Film spannend. Ich denke also, dass jede Art von Gespräch, vor allem wenn es von einem positiven Standpunkt aus geführt wird, eine großartige Sache ist, auf die ich mich wirklich freue. Mein Film und mein Team brauchen das Interesse und die Aufmerksamkeit der Leute, die ihm Beachtung schenken und dann anderen sagen: "Hey, ich denke, du solltest dir diesen Film ansehen." Alles, was dazu beiträgt, mache ich also sehr gerne – und es stimmt ja auch: Mein Film erzählt eine Geschichte, die in diesem Spannungsfeld passiert und mein Cast schlägt eine Brücke zwischen dem amerikanischen und dem südkoreanischen Kino – deshalb tausche ich gerne meine Gedanken zu diesem Thema aus.

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