Es mag nicht der bekannteste Film von Jaques Becker sein und nach seiner eigenen Einschätzung auch nicht sein bester (was wir gerne mit ihm ausdiskutiert hätten), aber Falbalas – Sein letztes Modell hat eine Klasse, eine Dramatik und eine Schönheit, die geradezu zeitlos sind. Und das obwohl der Film im Grunde die Geschichte eines narzisstischen, an der Grenze zur Übergriffigkeit agierenden Modeschöpfers erzählt, der ein tragisches Ende findet, als er an die eine Frau gerät, die für ihn doch mehr sein sollte als bloß die nächste Eroberung.
Die soeben veröffentlichte, digital in 4K restaurierte Version kommt zudem in einer Zeit, in der die Modewelt gerade ihren #metoo-Moment erlebt und schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Chef der Agentur Elite Model Management, Gérald Marie, erhoben hat, der unter anderem Naomi Campbell, Claudia Schiffer und Cindy Crawford vertreten hat.
Falbalas – Sein letztes Modell gelingt es trotzdem, Empathie für den von Raymond Rouleau gespielten Modedesigner Philippe Clarence zu entwickeln. Er ist ein Meister der Haute Couture, der allerdings ein wenig strauchelt. Die ersten Entwürfe seiner neuen Kollektion gefallen weder ihm noch seinen Schneiderinnen. Der Buchhalter merkt an, dass die Bilanzen im Vorjahr weitaus besser aussahen und auch der Stofflieferant moniert die Zahlungsmoral der Marke Clarence. Der Meister selbst wirkt bisweilen müde und genervt, ausgezehrt von seiner Arbeit und den zahlreichen Eroberungen. Er ist ein Hahn im Korbe, umgeben von dutzenden Modellen, Sekretärinnen, Assistentinnen, Schneiderinnen. Einige von ihnen sind verflossene Affären, die Philippe noch immer lieben – was er mit grausamer Gleichgültigkeit pariert.
Erst die Verlobte seines Freundes Rousseau (Jean Chevrier), Micheline (Micheline Presle), weckt seinen Spieltrieb und damit auch seine Kreativität: Als Rousseau sie ihm vorstellt, bevor dieser für einige Tage Paris verlässt, nutzt Clarence die Gelegenheit und umgarnt und bedrängt Micheline. Dabei merkt man recht schnell: Auch Micheline liebt den Flirt und das Spiel. Sie lässt sich auf Philippes Einladungen und Geschenke ein und schwankt dabei zwischen Faszination, ernster Zuneigung und einer wachsenden Skepsis. Schon in der Mitte des Films macht sie Philippe im Jardin des Tuileries eigentlich recht deutlich klar, dass ihre Beziehung mitnichten mehr als ein Flirt oder gar eine Liebe sei. Trotzdem merkt Micheline an ihrem Interesse, dass sie Rousseau nicht heiraten kann, wenn sie sich kurz vor der Hochzeit noch auf solche Geschichten einlässt.
Philippe Clarence (Raymond Rouleau) bei seiner Arbeit. Szenen wie diese weckten bei Jean Paul Gaultier den Wunsch, Modedesigner zu werden. © Arthaus / Studiocanal
Dass man mit allen Figuren, auch den schmierigen Schürzenjägern, sympathisiert, liegt vor allem an Beckers warmem Blick auf ihre Verblendungen und Leidenschaften, Sehnsüchte und Fehler. Philippes Avancen wirken oft fast kindlich begeistert – und kippen erst später manchmal in cholerische Momente, wenn er seinen Willen nicht kriegt. Zugleich ist Philippe umgeben von starken Frauenfiguren wie seiner Assistentin Solange, die den Laden im Kern zusammenhält und eben Micheline, die freigeistig und selbstbestimmt wirkt. Und bei all dem Leid, das Philippe mit seinem Verhalten auslöst – es gibt auch immer die Momente, in denen er wie ein guter Chef wirkt, der die gesamte, komplett weibliche Belegschaft seines Modehauses bei Arbeit und Laune hält.
Das realistisch dargestellte Treiben in diesen Räumlichkeiten zeigt die große Kunst Beckers und ist ein Grund, warum der Film gerade in Modekreisen einen legendären Ruf genießt. Der wohl bekannteste Fan ist französische Modeschöpfer Jean Paul Gaultier. Er sagte einmal in einem Interview: "Ich habe als junger Mann Falbalas gesehen und wusste: DAS will ich machen." Man sagt, vor Gaultiers Atelier hänge noch immer eine große Schwarz-Weiß-Fotografie von Micheline Presle in ihrer Falbalas-Rolle. Auch die Vanity Fair nannte Falbalas einmal: "der schönste Film über Mode".
Assistenin Solange, die als starke Frau den Laden im Kern zusammenhält, begutachtet die Entwürfe ihres Chefs. © Arthaus / Studiocanal
Ein Großteil des Films spielt in den Räumen des Modehauses von Philippe Clarence, und es ist diese perfekt gestaltete Kulisse, die den Film außergewöhnlich macht. Während der Dialoge blickt man immer wieder in die Büro-, Schneiderei-, Ankleide- oder Präsentationsräume und bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie Mode Mitte der 40er-Jahre entstand und präsentiert wurde. Jaques Becker nutzt dabei immer wieder die Mise en Scène, lässt in der inneren Montage der bespielten Räume Mannequin-Puppen und besondere Kleider '"sprechen" und auf die Handlung einwirken. Vor allem die Rolle der Puppen ist im dramatischen Ende des Films mehr als deutlich. Becker bezog sich dabei auf die Theorie des Modeschöpfers Paul Poiret, der über menschliche wie auch über künstliche Mannequins sagte: "Das Mannequin muss den Geist eines Kleides assimilieren und seinen Charakter darstellen, seine Rolle ausfüllen." Bei Jacques Becker verschmelzen am Ende gar Mannequin-Puppe und Mensch.
Galant, verspielt, stilvoll war die Mode in den letzten Wochen des Krieges. Die Nazis, die noch zum Dreh des Films in Paris an der Macht waren, existieren in der Welt von Falbalas einfacht nicht. © Arthaus / Studiocanal
Zu guter Letzt muss man sich bewusst machen, in welcher Zeit dieser Film entstand und in die Kinos kam. Gedreht wurde Falbalas – Sein letztes Modell im Frühjahr 1944, also in der Endphase der Besatzung durch die Nazis, die erst am 24. August 1944 nach der Befreiung von Paris kapitulierten. Gezeigt wurde er 1945, als die Besatzung zwar Geschichte war, das Leben in Paris aber noch immer von Einschränkungen und Rationierungsmaßnahmen geprägt war. Von all dem sieht man in Falbalas – Sein letztes Modell exakt: nichts. Die exaltierte Mode der High Society, die edlen Restaurants, die vornehmen Pariser Wohnungen, das sommerliche Treiben in den Parks – fast wirkt es wie Eskapismus, oder ein Traum von besseren Zeiten. Das Drama entfaltet sich niemals im Politischen, sondern ausschließlich im Verhalten der schillernden Figuren. Von denen zwei am Ende jedoch gebrochen und enttäuscht, beziehungsweise vom Wahn befallen, ihr Leben lassen – was den schönen Traum dann eben doch zum Platzen bringt.
Daniel Koch