Detailsuche

Bild zu Goldene Palme für Sean Baker: Reif für den Oscar?

Goldene Palme für Sean Baker: Reif für den Oscar?

Der Regisseur von The Florida Project gewinnt mit Anora den Wettbewerb in Cannes.

03. Juni 2024

Es wäre eine Verkürzung, wenn man sagte, dass Regisseur Sean Baker in seinen Filmen ein Herz für Außenseiter zeige. Bakers Empathie für Charaktere am Rande der Gesellschaft geht weiter. Dank der Fähigkeit, sich in Figuren hineinzuversetzen, ohne sich ihnen und ihren Lebensumständen anzubiedern, kommen berührende, wahrhaftige Geschichten heraus, wenn der 53-jährige Amerikaner ihre Schicksale erzählt. Dabei spielt nicht nur deren Seelenleben eine Rolle, vielmehr geht es um ihre Körper. Um die sozialen Umstände und die individuellen Erfahrungen, die sich in sie eingeschrieben haben – auch darum, wie Menschen ihren Körper in die Waagschale werfen, um Ungleichgewichte jeglicher Art auszutarieren. Das gilt sowohl für seinen bislang größten Publikumserfolg, The Florida Project, als auch für das aktuelle Werk Anora, das gerade in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

The Florida Project handelt von der 6-jährigen Moonee, die mit ihrer Mutter in einer pastellfarbenen Siedlung vor den Toren von Disneyland lebt. Was den dort gestrandeten Erwachsenen wie eine trostlose Endstation vorkommen muss, auch wenn sie hier von Baker alle einen würdevollen Umgang mit ihrem Alltag zugesprochen bekommen, ist für das Kind eine Welt voller Abenteuer – irgendwo zwischen Illusion, Utopie und Realität, ganz ähnlich wie der angrenzende Vergnügungspark. Sean Baker schafft es schließlich, für ein Ende mit absolutem Gänsehaut-Feeling zu sorgen, in dem er die Anziehungskräfte der Unterhaltungsindustrie (und damit nicht zuletzt die eigene Funktion) einfließen lässt, ohne die Probleme seiner Heldinnen zu romantisieren oder ihre bescheidenen Möglichkeiten voyeuristisch zur Schau zu stellen.

"The Florida Project": Gleich nebenan wohnt Mickey Mouse © Nicolas Velter

"The Florida Project": Gleich nebenan wohnt Mickey Mouse © Nicolas Velter

In Anora berührt Baker wie schon in Starlet, Tangerine oder Red Rocket das Thema Sexarbeit. Diesmal stehen weder Pornodarsteller*innen noch transMenschen aus dem Sex Worker-Milieu im Mittelpunkt, sondern eine Stripperin, die mit einem Oligarchensohn durchbrennt – inklusive Hochzeit in Las Vegas. Die Schwierigkeit der beiden ergeben sich aus dem Umstand, dass die Familie des Bräutigams alles andere als begeistert ist von dieser Liaison. Bakers ideenreich inszeniertes Drama mit latenten Berührungspunkten zur akuten Metoo-Debatte setzte sich im Wettbewerb unter anderem gegen Francis Ford Coppolas Großwerk Megalopolis durch. Es gibt durchaus Parallelen zwischen Coppolas Werk und dem Schaffen Bakers. Da wäre das das Musical One From The Heart – Einer mit Herz, das Coppola Anfang der 1980er-Jahre in aufreizend künstlichen Kulissen in Szene setzte. Da wäre der unbedingte Wille zum direkten Austausch mit dem Publikum, den Coppola in Cannes durch eine reale Publikumsfrage offenbarte, die während der Aufführung durch die von Adam Driver gespielte Filmfigur beantwortet wurde – und den Baker auf einer emotionalen Ebene sucht, in dem er den Zuschauer*innen mit seinen Storys unter die Haut geht. Last not least haben nun beide eine Goldene Palme erhalten. Francis Ford Coppola gewann sie 1979 mit Apocalypse Now. Ein Oscar für Sean Baker ist vermutlich nur noch eine Frage der Zeit.

WF

Dazu in unserem Magazin

Arthaus Stores

Social Media