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Nastassja Kinski: Ein halbes Jahrhundert im Blick

Vor knapp 50 Jahren feierte sie ihr Kino-Debüt in Falsche Bewegung von Wim Wenders – und wurde in Filmen von Francis Ford Coppola, Roman Polanski oder Arthur Joffé zum Weltstar.

19. März 2024

Das Leben im Rampenlicht kann schmerzhaft sein, zumal für Kinder berühmter Eltern. Erst recht, wenn ein Elternteil, wie im Fall der 1961 geborenen Nastassja Kinski, als schwieriger Charakter bekannt ist. Klaus Kinski agierte bekanntlich auch abseits seiner Rollen selbstherrlich, cholerisch und übergriffig – spielte im Kino meist eine nicht allzu stark verfremdete Version seiner selbst. Fragen Sie Werner Herzog. Das macht alles noch schmerzhafter. Nastassja Kinski hat vor Jahren schon öffentlich darüber gesprochen, wie sie ihren Vater persönlich auf Abstand hielt, beruflich eiferte sie ihm in gewisser Weise nach. Genau wie ihre Halbgeschwister Pola und Nikolai zog es sie ins Filmgeschäft. Bereits als Teenager wurde Nastassja entdeckt und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass frühe Erfolge sowie Erwartungen, die Ruhm in jungen Jahren nun mal mit sich bringt, sie nicht wenigstens kurzfristig aus der Bahn geworfen haben. Denken wir etwa an Drew Barrymore. Nastassja Kinski brachte nicht nur viel Talent und Unbeschwertheit mit, wie schon ihr erster Leinwandauftritt in Falsche Bewegung von Wim Wenders aus dem Jahr 1975 beweist. Die inzwischen 63-Jährige ist eine Darstellerin mit großer Ausstrahlung. Dazu beherrscht sie ihr Handwerk und ist in 50 Jahren an der Aufgabe gewachsen, sowohl mit den Vorzügen als auch mit der Last ihrer Herkunft umzugehen.

"Paris, Texas" © Wim Wenders Stiftung

"Paris, Texas" © Wim Wenders Stiftung

Zuletzt hat Nastassja Kinski den Mut gefasst, am eigenen Mythos zu kratzen. Es geht um die legendäre Tatort-Folge Reifezeugnis, in der sie 1977 eine Minderjährige spielte, die ein Verhältnis mit ihrem Lehrer eingeht. Der Krimi hält weder heutigen Sensibilitätsstandards stand, was die Perspektive auf zur Schau gestellte Lolita-Erotik angeht, noch sind die seelischen Wunden verheilt, die Nastassja Kinsksi während der Dreharbeiten davongetragen hat. Erstaunlich, welch guten Ruf die Episode bis heute genießt. Es könnte damit zusammenhängen, dass Regisseur Wolfgang Petersen im Sinne der sexuellen Revolution die unterdrückte bürgerliche Libido zum Vorschein bringen wollte. Womit er auf derselben Welle des Zeitgeists surfte wie auch mancher Vertreter des Neuen Deutschen Films. Nun ist für Kinski die Zeit gekommen, ein Zeichen gegen ihre zweifelhafte Behandlung durch die Produktion zu setzen und damit jungen Menschen in ähnlichen Situationen heutzutage Vorbild zu sein. Darüber hinaus dürfte sie auch die Awareness in Teilen der Gesellschaft steigern, die sich von derartigen Geschichten nicht persönlich betroffen fühlen: Nastassja Kinski forderte jüngst ganz entschieden, die Nacktszenen mit ihr als Jugendliche aus dem Fernsehklassiker herauszuschneiden – oder den Skandal für immer im Giftschrank verschwinden zu lassen.

"Tess" © Stiudiocanal

"Tess" © Stiudiocanal

Nach dem sexualisierten Auftritt im Tatort, wurde Kinski gleich für eine der früher handelsüblichen Internats-Klamotten engagiert: Leidenschaftliche Blümchen. Die bald folgenden Hollywood-Engagements sollten sich wiederum als halbwegs zweischneidiges Schwert erwiesen. Zum einen half die steile Filmkarriere unter Regisseuren wie Roman Polanski und Francis Ford Coppola, sich von den familiären Fesseln, sprich dem Vater zu emanzipieren und die eigenen Qualitäten in den Vordergrund zu stellen. Andererseits geriet die internationale Anerkennung daheim zum Bumerang. Dem deutschen Tatort verhalf Nastassja Kinski als Weltstar im Nachhinein zu einer Extraportion Glamour, die sich auch in der x-ten Wiederholung in den dritten Programmen der ARD nicht versendete. Wenn Nastassja Kinski heute gegen das Reifezeugnis von einst und dessen Kultstatus vorgeht, ist dies beileibe kein überraschender Bruch in ihrer Biografie. Schon ihre gesamte schauspielerische Laufbahn über ist sie im nicht gerade von Frauen dominierten Filmgeschäft dem männlichen Blick ausgesetzt und hat diesem immer selbstbewusst standgehalten. Eine Haltung, die sie wohl am beeindruckendsten in Wim Wenders‘ Paris, Texas verkörpert – samt rosa Pullover. Als Jane trägt sie diesen auffälligen Pulli fast wie einen Schutzpanzer gegen alle möglichen Zuschreibungen, mit denen sie konfrontiert wird und die im Peepshow-Setting von Regisseur Wenders natürlich klug auf die Spitze getrieben werden. 1984 hatte Nastassja Kinski also den kritischen Blick der idealisierten Unerreichbaren bereits kultiviert, den sie 1979 in ihrer herausragenden Darstellung der Tess in Polanskis gleichnamiger Thomas Hardy-Verfilmung mit Nachdruck in die Filmgeschichte einführte. Die Bilder sprechen Bände. Ein Blick, unter dem jedem Molch und Macho die Knie weich werden, weil er darin den eigenen lüsternen Blick auf eine allzu reflektierte Art und Weise gespiegelt sieht.

"Harem" © Studiocanal

"Harem" © Studiocanal

Natürlich wurde die Schauspielerin Nastassja Kinski oft genug als öffentliche Person Nastassja Kinski gecastet und inszeniert. In One from the Heart - Einer mit Herz (1982) von Francis Ford Coppola scheint ihre Figur geradewegs einer Werbetafel entsprungen, passend zur künstlichen Welt von Las Vegas, die Coppola hier auf virtuose Weise mit der künstlichen Welt der Filmtraumfabrik verschmelzen ließ. Für Arthur Joffé gab sie in Harem 1985 eine vom Scheich entführte Börsenhändlerin mit Stockholm-Syndrom. Es wäre falsch, Nastassja Kinskis Filmrollen mit ihr als Privatperson zu verwechseln – ganz scharf lassen sich die Trennlinien jedoch nie ziehen, da immer etwas vom Menschen in die Kunstfigur einfließt und stets etwas von der Kunstfigur auf den Menschen abfärbt. Somit strahlen alle von Kinskis dargestellten fiktionalen Persönlichkeiten einen Teil ihres wahren Selbst aus. Weshalb man ihr bisheriges Lebenswerk auch als ein halbes Jahrhundert im Widerstand gegen patriarchale Verhältnisse bezeichnen kann – und diese Verhältnisse hatte ja schon ihr Vater bis ins Groteske übersteigert und so offen aggressiv wie kaum ein anderer Mann im Kulturbetrieb verkörpert. Nastassja Kinskis Vita und die dazugehörige Filmografie – das sind ihre wirklichen Reifezeugnisse.

"One from the Heart" © Zoetrope Studios. All rights reserved.

"One from the Heart" © Zoetrope Studios. All rights reserved.

WF

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