Starten wir mal etwas polemisch: Es gibt die Filmkritik und es gibt das Publikum. Beide lieben Filme – aber eben auf ihre Weise. Und gerade bei der Filmkritik fragt man sich bei dem ein oder anderen sehr schlauen, sehr mäkeligen Text schon manchmal, ob ein Teil dieser Liebe nicht irgendwann nach der 100. Rezension auf der Strecke geblieben bist. Das kann man sehr gut an Beating Hearts ablesen, der bereits im letzten Jahr unter dem Titel L’amour ouf in Cannes gezeigt wurde und seit Mitte Oktober in den französischen Kinos läuft.
Im Wettbewerb von Cannes landete Beating Hearts in Sachen Bewertungen auf dem letzten Platz, der Review Aggregator von Rotten Tomatoes kommt auf einen durchschnittliche Bewertung von 33 Prozent. Der Film sei zu grell, naiv, drüber, eindimensional, zu heiß, zu kalt, zu brutal, zu kitschig. Das französische Publikum sah die Sache anders: Der Film rangiert in Frankreich unter den Top 3 der meistgesehenen Filme der Jahres 2024. Warum diese Diskrepanz? Wir glauben, weil der Film zu grell, naiv, drüber, eindimensional, zu heiß, zu kalt, zu brutal, zu kitschig ist – und gerade deshalb so herrlich knallt. Wenn man sich drauf einlässt …
Kern der gut dreistündigen Story ist die Lovestory zwischen der behütet aufwachsenden Jackie und dem aufmüpfigen Clotaire, der aus einem sogenannten Problemviertel stammt. Der Film folgt weitestgehend dem 1997 veröffentlichten Roman "Jackie Loves Johnser OK?" vom irischen Autor Neville Thompson. Regisseur Gilles Lellouche verlegte die Handlung in eine nicht näher benannte Küstenstadt im Norden Frankreichs. Beating Hearts zeigt in den ersten 90 Minuten, wie sich Clotaire und Jackie in den später 80ern ineinander verlieben.
Als Zuschauer:in verliebt man sich ebenfalls in die beiden, was vor allem an den Nachwuchsstars Mallory Wanecque (Les Pires) und Malik Frikah (Gangs of Paris) liegt. Clotaire ist eigentlich eine wandelnde Red Flag – pöbelnd, laut, ein grinsender Bully, dem Jackie schlagfertig entgegentritt. Was sie für Clotaire natürlich noch interessanter macht. Wenn die beiden zusammen sind, wird Clotaire dann auch ganz warm und fürsorglich. Gleichzeitig lässt er sich aber in eine Gang hineinziehen und wird von zweifelhaften Vaterfiguren bestärkt, seine Aggressionen in ihren Dienst zu stellen. Die Sache geht natürlich nicht gut aus: Ein Raub misslingt, ein Wärter wird erschossen – und Clotaires vermeintliche Gangfreunde schieben ihm den Mord unter. Er muss für 12 Jahre in den Knast – und Jackie geht ihren eigenen Weg.
Jahre später treffen die beiden wieder aufeinander: Hier übernehmen Adèle Exarchopoulos (Blau ist eine warme Farbe) und der kantige Posterboy François Civil (Die drei Musketiere). Einige Kritiker*innen mäkelten, die beiden hätten keine Chemie miteinander, aber das würden wir so nicht unterschreiben: Vielmehr ist es so, dass Jackie eben nicht weiß, ob sie diesen Mann wieder in ihr Leben lassen will. Auch Clotaire ist emotional unbeholfen – zwischen all der Coolness und dem inneren Struggle, ob er einen ehrenwerten Job machen soll, oder wieder zum Gangster wird. Die ersten Sekunden des Films deuten schon an, wie die Sache ausgehen könnte – oder wird hier eine Finte gelegt? Als Jackie und Clotaire aber später zueinander finden und in einem Café sitzen, knistert es zwischen den beiden – sie finden für einen vertrauten Moment zueinander, spüren das Kribbeln der Erinnerung an die Achterbahnfahrt ihrer Teenagerliebe und glauben daran, vielleicht auch den Erwachsenen-Alltag zu meistern.
Malik Frikah als Clotaire und Mallory Wanecque als Jackie. © Arthaus / Studiocanal
"Diese Liebesgeschichte erinnerte mich an Zeiten in meiner Jugend", erklärt Gilles Lellouche. "Ich fühlte mich schon immer zu gescheiterten Romanzen hingezogen – zu dem Klassenkampfaspekt, der aus der Liebe entsteht, die man für jemanden empfindet, der oberflächlich betrachtet nicht für einen bestimmt ist." Visuell und erzählerisch macht Lellouche keinen Hehl aus seinen Vorbildern. Im Gegenteil. Er feiert sie. Holt sie in die Jetztzeit und wirft sie in leuchtenden Farben an die Leinwand. Ihn erinnere Beating Hearts "an bestimmte Filme, die ich geliebt habe, insbesondere an Coppolas Filme aus den 80er Jahren wie Rumble Fish oder The Outsider. Es ist eine wilde Mischung aus Gewalt und übersteigerten Gefühlen, ein Film irgendwo zwischen heiß und kalt oder süß und sauer." Auch der Roman "Martin Eden" von Jack London habe großen Einfluss gehabt, sagt der Regisseur.
François Civil als Clotaire und Adèle Exarchopoulos als Jackie in der Jetztzeit. © Arthaus / Studiocanal
Beating Hearts ist bei all dem wahrlich ein Film, den man im Kino sehen sollte. Lellouche liebt die ikonischen Bilder, die Farbnuancen, die Action-Szenen, die Larger-than-Life-Momente einer jungen Liebe, in der sich ein Wiedersehen manchmal anfühlt, als würde der Geliebte im Scheinwerferlicht zum schönsten Song der Welt tanzen. Was Lellouche dann einfach exakt so inszeniert. Kritiker*innen mögen das "naiv" nennen – wir scheißen aber auf das Genörgele und genießen einfach diesen visuellen Zuckerschock. Aber auch der Soundtrack von Beating Hearts sitzt: 80er-Überhits pushen wichtige Szenen, Jackies Liebe zu The Cure wird ausgiebig zelebriert, Daft Punk erinnern mal wieder daran, wie brillant sie waren und der Score von Jon Brion veredelt viele Szenen – vor allem die beiden Sonnenfinsternisse, die eine wichtige Klammer für Jackies und Clotaires Geschichte bilden.
Ein erster Teaser kündigte Beating Hearts vor einigen Jahren als "an ultra-violent musical and romantic comedy" an – aber das trifft die Sache irgendwie eher als Streifschuss. Auch Gilles Lellouche würde das heute nicht mehr ganz so stehen lassen, sagt aber: "Ich wollte einen Ausgleich zu den Gangsterfilmen schaffen, die diese Nuancen einer Lovestory oft ausklammern. Ein Gangsterfilm bleibt ein Gangsterfilm – und eine romantische Komödie bleibt eine romantische Komödie. Die Verschmelzung dieser beiden Genres ist ziemlich unwahrscheinlich, aber Genre-Mischungen haben mich schon immer angezogen, und das fand ich bei diesem Projekt sehr aufregend."
Er habe unbedingt eine heiße und kalte Dynamik darstellen wollen. "Und wenn ich versuchen müsste, sie zu definieren, würde ich sagen, dass es eine Liebesgeschichte ist, die sowohl musikalisch als auch gewalttätig ist. Aber ich würde nicht die Begriffe Komödie oder Drama verwenden ... Ich bevorzuge einfach das Wort Geschichte."
Damit macht er es sich ein wenig einfach, aber das lassen wir einfach mal so stehen – und raten allen, sich im Kino in Jackie und Clotaire zu verknallen – und damit auch in stylishe Action, romantische Knutschszenen, poetische Sonnenfinsternisse, strahlende Farben und einen fast perfekten Soundtrack.
DK