In einem Interview mit der "Abendschau" im Jahr 1959 sagte Maria Callas: "Die Menschen, die zu meinen Auftritten kommen, werden nie das Gleiche erleben, weil es immer im Augenblick passiert." Und tatsächlich: Wer zu den Glücklichen zählt, die Maria Callas noch zu Lebzeiten live sehen konnten, wird das exakt so unterschreiben. Aber man sieht es auch in den Videos von ihren Auftritten: Wie sie die Bühne bestimmt, wie sie sich im Klang der Streicher wiegt, wie sie ihre überirdische Stimme mal zähmt, mal wie eine fremde Macht ausbrechen lässt, die ganze Hallen hypnotisieren und manchmal gar schocken kann – das ist so einzigartig und unmittelbar, wie es die Oper in ihren besten Momenten sein kann. Und das obwohl, oder gerade weil Maria Callas dabei Lieder singt, die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten zu einem hochklassigen Kanon zählen.
Die griechische, 1923 als Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropoulou geborene und 1977 verstorbene Maria Callas, gilt als Leitstern der Opernwelt, als eine der bedeutendsten Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts. Aber sie war nicht nur technisch perfekt, sie hatte auch den schillernden Glanz eines Popstars – oder einer Diva, wie es oft despektierlich hieß. Vor allem mit ihrer Lebensrolle Norma löste sie Begeisterungsstürme aus und wirkte weit über die Opernwelt hinaus. Außerdem wurden Traviata, Lucia, Tosca und Medea zu ihren zentralen Partien. Maria Callas füllte die Rollen dieser zerbrechlichen Frauen ebenso intensiv aus wie jene der Heldinnen. Sie gab den Leidenden und den Kämpfenden ihre überwältigende Stimme. Heute gilt Maria Callas aufgrund ihrer erstaunlichen Karriere und ihres rätselhaften Todes, der auch im Mittelpunkt des Films Maria steht, als Mythos.
Für Regisseur Pablo Larraín, der schon im Kindesalter von seiner Mutter mit der Oper angefixt wurde, war die Callas die "Krönung" der Gesangskunst. Als wir ihn kürzlich im Soho-Haus zum Interview trafen, erzählte er uns: "Auf der Heimfahrt von einer Opern-Aufführung hat meine Mutter oft eine Kassette dabeigehabt. Sie hat zu mir gesagt: 'Sohn, wir haben gerade diese wunderschöne Oper gehört – aber DAS hier, das ist die Krönung dieser Kunst.' Und dann hat sie auf Play gedrückt und wir haben Maria Callas gehört. So wurde ihre Stimme früh ein Teil meines Lebens."
Angelina Jolie als Maria Callas © Studiocanal
Angeline Jolie, die in Maria die Callas spielt, sang bei den Dreharbeiten tatsächlich die jeweiligen Opern – ihre Stimme wurde dann im Studio mit dem Originalgesang zusammengemischt. Sie sagt über diese Erfahrung: "Das Gute an der Rolle der Maria Callas ist, dass niemand von dir erwartet, dass du wie Maria Callas singst, denn niemand auf der Welt kann wie Maria Callas singen, oder nicht? Zu ihrer Zeit konnte ihr niemand das Wasser reichen und es wäre ein Verbrechen, ihre Stimme im Film nicht zu hören, denn in vielerlei Hinsicht ist sie sehr präsent."
Über ihr Spiel in den Opernszenen sagt Jolie: "Als Schauspielerin habe ich nicht meine Opernrolle der ‚Anna Bolena‘ gespielt, sondern die von Maria. Ich habe versucht zu verstehen, warum sie diese Entscheidungen für ihre Darstellung getroffen hat. Ich habe noch nie eine Sängerin gespielt. Je mehr ich über Marias Entscheidungen erfuhr, desto mehr wurde ich zu einem Fan ihrer Arbeit. Sie war auch eine brillante Schauspielerin."
Der Film Maria konzentriert sich stark auf die letzte Woche in Callas' Leben – die aus Sicht der zahlreichen Biograph*innen eher eine Blackbox ist. Larraín habe sich und seine Produzent:innen gefragt: "Warum machen wir nicht einen Film über diese Art von dunkler Zone, von der niemand weiß, was passiert ist – nämlich die letzte Woche ihres Lebens in ihrer Wohnung? Von da ausgehend, konnten wir dann eine Reihe von Dingen tun, die real oder surreal, biografisch belegt oder fiktiv sein konnten."
Die unmittelbare Wirkung dieser Dramaturgie und der Atmosphäre, die durch sie entsteht, ist der plötzliche Drang, mehr über das Leben der Maria Callas erfahren zu wollen. Larraín richtet die Kamera sehr behutsam auf Themenfelder wie Maria Callas' schwierige Kindheit unter einer diktatorischen Mutter, der Verlust ihrer Stimme, ihre Liebe zu Aristoteles Onassis und ihr gigantischer Ruhm, der bisweilen einherging mit einem Verhalten, das von der Presse oft als divenhaft bezeichnet wurde.
Maria Callas sagte über die Achterbahnfahrt aus Bewunderung und Kritik, die ihr vom Publikum und von der Presse entgegengebracht wurde: "Ich bin kein Engel und gebe nicht vor, einer zu sein. Das gehört nicht zu meinen Aufgaben. Aber ich bin auch keine Teufelin. Ich bin eine Frau und eine ernsthafte Künstlerin, und ich möchte als solche beurteilt werden." Dafür kämpfte Maria Callas wenn es nötig war – und wurde so bisweilen auch zur Kämpferin für die Gleichberechtigung. Als sie zum Beispiel 1956 mit "Norma" an der New Yorker Met auf der Bühne stand, forderte sie die gleiche Gage wie Dirigent Herbert von Karajan und die männlichen Sänger. Für die Musikwelt war das ein Schock – obwohl der Skandal ja eher darin lag, dass der Star, der alle überstrahlt, weniger verdienen sollte. "Ich werde immer so kompliziert wie nötig sein, um das Beste zu erreichen", sagte Maria Callas damals. Dass ihre Stimme schon in ihren 30ern immer unzuverlässiger wurde, obwohl Sopransängerinen in dem Alter eigentlich ihre Blütezeit haben, war vielen ein Rätsel – die meisten schrieben es ihrem starken Gewichtsverlust zu, den man zu der Zeit beobachten konnte.
Mit 41 Jahren trat Maria Callas am 5. Juli 1965 zum letzten Mal als Opernsängerin auf, in der Rolle der Tosca im Londoner Covent Garden, blieb dann aber auf andere Weise im Scheinwerferlicht. Die Onassis-Affäre faszinierte weiterhin die Klatschpresse, Callas wurde als Mode-Ikone gesehen und sie spielte 1969 in Pier Paolo Pasolinis Film Medea. Außerdem leitete Maria Callas Meisterklassen an der renommierten Juilliard School in New York. 1970 zog sie schließlich nach Paris, lebte verhältnismäßig zurückgezogen und verstarb am 16. September 1977 im Alter von nur 53 Jahren an einem Herzinfarkt.
Wie der Film Maria auf berührende Weise zeigt, blieb Maria Callas auch in diesen Jahren im Herzen stets ganz Künstlerin. "Du wirst als Künstlerin geboren oder du wirst es nicht", sagte die Callas einmal. "Und du bleibst ein Künstlerin, selbst wenn deine Stimme kein richtiges Feuerwerk mehr ist. Die Künstlerin ist immer da."
DK