Es gibt keinen genaueren Ort als das Kino, um Keanu Reeves‘ Herkunft zu beschreiben. Eine nicht selbst gewählte kosmopolitische Jugend – geboren in Beirut, aufgewachsen in den USA, Australien und Kanada – traf auf instabile familiäre Verhältnisse. Als Keanu Reeves dreizehn Jahre alt war, brach der Kontakt zum Vater ab. Es folgte ein Engagement beim kanadischen Jugendfernsehen. Die Faszination für die darstellenden Künste blieb dem jungen Eishockeyspieler auch nach dem Ende des TV-Jobs erhalten, sodass er die Schlittschuhe an den Nagel hing und den Weg als Schauspieler einschlug. Der steinige Pfad führte ihn bis in den Olymp der größten Hollywood-Stars der Jetztzeit.
Anfänglicher Spott über seine hölzerne Spielweise wandelte sich mit der Zeit zum Respekt für einen unverstellten Typen, der manchmal etwas zu viel der eigenen Bescheidenheit auf seine Rollen projizierte und ihnen ein Übermaß an Zurückhaltung auferlegte. Haifischbecken Hollywood. Das Kino war aber auch der Ort von Keanu Reeves‘ Wiedergeburt. Nach einigen Misserfolgen und der Darstellung undankbarer Figuren, mit denen er auf sein Äußeres reduziert wurde, besetzte ihn Regisseurin Kathryn Bigelow für Gefährliche Brandung – Point Break als Action-Held.
Die Szene zu Beginn des Thrillers im Surfermilieu, bei der Undercover-Agent Johnny Utah vor dem Ertrinken gerettet wird und mit einer neuen Vita wieder auftaucht, hat schon sinnbildlichen Charakter. Ganz real betrachtet, waren die Dreharbeiten eine echte Herausforderung: Bigelow verlangte von ihren Schauspieler*innenn, dass sie die Kampfszenen selbst spielten. Für Reeves ein Vorgeschmack auf das Trainings-intensive Set von Matrix. Aber nach Little Buddha und Bram Stoker’s Dracula von Francis Ford Coppola kam zunächst einmal der große Durchbruch mit Speed – und der Rest ist Filmgeschichte.
Menschliche Schwächen, menschliche Größe
Überraschend lehnte Keanu Reeves das Angebot einer Fortsetzung des Blockbusters ab, weil er andere künstlerische Vorstellungen von seiner Laufbahn hatte als diese Hochgeschwindigkeitsnummer bis zum Crash auszureizen. Das verhalf ihm zu neuer Integrität. War er nicht vorher der Typ gewesen, der alles gemacht hätte, um in einem ambitionierten Film mitzuspielen, nur um darin dann alles falsch zu machen?
Die Matrix-Reihe machte ihn schließlich zu jener Kultfigur, die er seit dem frühen Erfolg von Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit immer zu werden versprochen hatte. My Private Idaho entwickelte seine Aura ja erst mit den Jahren, auch durch den bedauerlichen frühen Tod von Keanu Reeves‘ Freund River Phoenix, und wurde auch kein Massenphänomen wie der Hype um Neo. Dieser Typ aus der virtuellen Welt war so rätselhaft wie er zugleich dem Zeitgeist entsprach – und er konnte Kung Fu. Die Martial-Arts-Fertigkeiten verdankte Keanu Reeves übrigens nicht der chinesisch-stämmigen Großmutter sondern jahrlangem harten Training. Mit seiner ersten eigenen Regie-Arbeit, Man of Tai Chi erwies der leidenschaftliche Motoradfahrer und Bassist der Kampfkunst seine Reverenz.
Die netten Jungs von nebenan: Bill & Ted © Studiocanal
In der Öffentlichkeit entwickelte sich mit den Jahren verstärkt das Bild des aufrichtigen Menschen Keanu Reeves. Der Mythos eines Typen, der einerseits unnahbar scheint, einfach weil er sein Privatleben nicht in den Medien ausbreitet, und der andererseits der nette Junge von nebenan geblieben ist. Es gibt ein Wort für seine menschliche Größe und den gesteigerten Respekt, der ihm auch angesichts menschlicher Schwächen entgegengebracht wird: Keanussance.
Künstlerisch gesehen, ist Keanu Reeves immer ein Mann des Kinos geblieben. Kein misogyner Macho, aber auch kein puritanischer Moralist. Der Gewalt- oder Kitschbedarf bestimmter Genres hat ihn nie abgeschreckt, im Gegenteil hat er in so verschiedenen Produktionen wie Helden aus der zweiten Reihe oder Sweet November durchaus kräftig daran mitgewirkt, die gängigen Klischees im Sinne des Publikums zu erfüllen.
Mit der Figur des John Wick ist Keanu Reeves endgültig zu sich selbst gekommen. Dass er daneben auf eine lange Geschichte an Produktionen mit geringem Budget und hohem Anspruch zurückblicken kann, lässt uns Keanu-Reeves-Addicts zuversichtlich in die Zukunft schauen. Schließlich bleibt seine ewige Jugend, die einige zur Vermutung brachte, er sei unsterblich, die wohl größte Verheißung. Keanu Reeves wird uns alle überleben – das garantieren die Filme, die er gedreht hat und alle Filme, die noch kommen werden (die Bücher nicht zu vergessen: zuletzt erschien ein gemeinsam mit dem englischen Weird-Fiction-Autor China Miévielle verfasster Roman "Das Buch Anderswo"). Heute gratulieren wir im erst mal zum 60. Mit einer Luftgitarre à la Bill & Ted!
WF