Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell man es sich in einem Knast-Drama gemütlich macht. Wobei "ungemütlich" die Sache vielleicht besser trifft. Auch in Rick Rosenthals Drama Bad Boys geht man gleich eine Art Checkliste durch, sobald der jugendliche Straftäter Michael O’Brian (Sean Penn) in der Rainford Juvenile Correctional Facility landet. Man denkt dann so: "Ah, hier ist der Bully, den es zu verdreschen gilt! Hier ist der kleine charmante Trickser! Hier kommen die Schwarzmarkt-Händler! Das ist der Essensraum, in dem bald ein Tablett auf den Boden fliegt! In dieser Dusche wird mindestens eine Schlägerei passieren! Diesem Wächter kannste trauen! Diesem eher nicht!" Wobei man es Rosenthal und Drehbuchautor Richard DiLello hoch anrechnen muss, dass sie bei der Charakter-Zeichnung diese Klischeefallen recht meistens umschiffen und man bei den Protagonisten zwar ihre jeweilige Rolle erkennt, sie aber dennoch nicht schablonenhaft wirken.
Aber der Reihe nach: Bad Boys war nach Halloween II der zweite abendfüllende Film von Rick Rosenthal – und eine der ersten Hauptrollen für Sean Pean in einem Drama. Penn spielt darin den in Chicago lebenden 16jährigen Mick O’Brien. Er ist Sohn irischer Einwanderer, lebt bei seiner Mutter, die ihn alleine großzieht – oder eben nicht großzieht, weil sie mit sich selbst, ihrem Alkoholkonsum und den falschen Männern beschäftigt ist. Mick ist getrieben von dem Wunsch, die ärmlichen Verhältnisse hinter sich zu lassen. Er klaut Geldbörsen, überfällt kleine Geschäfte, will im Drogen-Geschäft mitmischen. Aber von Anfang an zeigt sich auch die andere Seite von ihm: Wenn er bei seiner Freundin J.C. ist, die aus gutem Hause stammt, ist er ein stiller, charmanter, melancholischer Teenager, der mit ihr blumige Flucht-Fantasien durchspielt. Noch den einen großen Coup landen – und dann zusammen abhauen! Man kennt das – und man weiß, wie es endet. Im Falle von Mick endet es mit einem Jugendgefängnis und dem Tod eines Kindes. Als er den gleichaltrigen, aus Puerto Rico stammenden Paco Moreno überfallen will, eskaliert die Situation und Mick überfährt Morenos kleinen Bruder. Der sich heimlich mal anschauen wollte, wie sein bewunderter großer Bruder Geschäfte macht – der eigentlich auf ihn aufpassen sollte.
Paco Moreno (Esai Morales) ist getrieben vom Wunsch nach Rache. © Arthaus / Studiocanal
Schon da ahnt man, wie die Sache ausgehen wird: Moreno ist von Rachlust getrieben, verprügelt und vergewaltigt sogar Micks Freundin J.C. und landet am Ende in der gleichen Jugendhaftanstalt wie Mick. Der hat sich dort mit seinem Zellengenossen Horowitz angefreundet und ist in der Knast-Hierarchie aufgestiegen. Als Moreno in das Gefängnis kommt, will Mick gerade seine letzten Wochen ohne Zwischenfälle durchbringen. Er hat dann schon einen Fluchtversuch hinter sich – der sehr berechenbar aber durchaus romantisch im Zimmer seiner Freundin J.C. endet. Wo er sich dann widerstandlos der Polizei ergibt.
Was diesen Film so besonders macht, ist, dass er eben nicht nur auf Not, Elend und Gewalt setzt, sondern den Protagonisten Menschlichkeit zutraut. Sogar die Wächter sind oft fair, der autoritäre Direktor nicht der Teufel – und selbst die "Bösewichte" haben in den meisten Fällen nachfühlbare Intentionen. Auch die soziale Komponente schwingt immer mit: Diese Jugendlichen sind nicht (nur) "Klein und Gefährlich", sie wurden von ihrem Umfeld geformt – und sie sehen vielleicht irgendwann unter Schmerzen ein, dass der ganze Gang- und Gewalt-Kram vielleicht nicht der Weg zu Ruhm und Reichtum sind. Wenn man ihnen hin und wieder eine Chance gibt. Das hilft darüber hinweg, dass man den "Endkampf" schon nach den ersten 15 der gut 120 Filmminuten kommen sieht.
Eine Szene aus glücklicheren, und freieren Zeiten: Mick bei einem Date mit seiner Freundin J.C., die selbst auf brutale Weise in den Konflikt gezogen wird.
Aber auch die Performances in diesem Film sind zu weiten Teilen eindrucksvoll. Vor allem der junge Sean Penn vermittelt mit nur wenigen Worten eine Intensität, die vielleicht schon damals erahnen ließ, dass er Hollywood in den Jahren darauf mit vielen Rollen prägen würde. Das fand zumindest der wohl meistzitierte Filmkritiker der Welt, Roger Ebert, schrieb damals: Er schrieb: "Bad Boys verpasst seine Chance, großartig zu sein, aber es bedeutet schon etwas, dass dieser Film diese Chance überhaupt hatte. Ich habe das Gefühl, dass er als einer dieser Referenzfilme gelten wird, auf den wir wegen der Talente, die er eingeführt hat, zurückblicken werden. Auf der Grundlage ihrer Arbeit hier haben Penn, Morales und Rosenthal bedeutende Karrieren vor sich, und einige der Nebendarsteller haben das vielleicht auch. Dieser Film ist kein voller Erfolg, aber er ist ein verdammt guter Versuch."
Esai Morales ist kein Top-Player geworden, aber tauchte in einigen TV-Serien (Ozark, Titans, Resurrection Blvd) und Kinoproduktionen (La Bamba und zuletzt Mission Impossible – Dead Reckoning Part One) auf. Rosenthal kehrte noch mal zu Halloween: Ressurection zurück und führte bei zweifelhaften Filmen wie Just A Little Harmless Sex Regie. Aber bei Sean Pean traf Eberts Prophezeiung: Zwar hat er nicht kommen sehen, dass Penn mal etwas pathetische Dokumentationen über sich und den Ukraine-Krieg drehen wird, oder – wie dieser Tage geschehen – bei FOX News deren Moderatoren rhetorisch auseinandernimmt – aber die schauspielerische Größe, die Penn in Mystic River, Milk, Carlito’s Way, Dead Man Walking und I Am Sam gezeigt hat, die war – als zarter Funken – schon in Bad Boys zu erkennen. Nicht nur deshalb lohnt es sich, mal diesen Bad Boys eine Chance zu geben. Denn die waren schon chronologisch betrachtet, die O.G.s unter den Bad Boys-Filmen …
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