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Kennen Sie den schon? Mickybo und ich

Selten war unser Rubrik-Name passender als bei diesem Film. Die irische Coming-of-Age-Tragik-Komödie von Terry Loane ist ein kleines Meisterwerk, das von der Kritik größtenteils übersehen wurde. Warum bloß?

02. November 2023

Cineast:innen streiten gerne über die Frage, ob die Bewertungen bei Rotten Tomatoes eine ernstzunehmende Währung sind. Beim Regiedebüt von Terry Loane, Mickybo und ich, aus dem Jahr 2004 sind sie es auf jeden Fall. Da sieht man nämlich das seltsame Schicksal dieses wundervollen Films: "Offizielle" Kritiken von verifizierten Film-Medien gibt es dort keine. Aber über 1000 "Audience"-Bewertungen, die bei einer erstaunlichen Bewertung von 87 Prozent landen. Ein User bringt es besonders gut auf dem Punkt, wenn er schreibt: "Can't believe that all the so-called film critics haven't critiqued this film as yet. It's been around long enough! A true hidden gem. So well worth the time you spend watching it. " Wahre Worte.

Wer Belfast, Billy Elliot und Stand By Me mag, ist hier richtig

Warum das so ist, bleibt auch für uns ein Rätsel. Denn Mickybo und ich müsste zum Beispiel all jenen gefallen, die 2021 Kenneth Branaghs autobiografisch gefärbte Erinnerung an eine Jugend im Belfast zur Zeit der "Troubles" Ende der Sechziger mochten. Es gibt sogar eine direkte Verbindung in den Cast von Mickybo und ich: Ciarán Hinds spielt in beiden Filmen tragende Nebenrollen. Aber auch Fans von Billy Elliot und Stand By Me dürften ein Herz für Mickybo und seinen Kumpel Jonjo haben. Um die beiden geht es nämlich in Terry Loanes Regiedebüt: Sie wachsen im Belfast des Jahres 1970 auf – eine Zeit, in der die Stadt gespalten ist zwischen Protestanten und Katholiken, die jeweils für einen Anschluss Nordirlands an das Vereinigte Königreich kämpfen oder für eine Loslösung und ein vereinigte Republik Irland. Anschläge der IRA prägen diese Zeit ebenso wie gewaltsame, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, bei denen auch das britische Militär mitmischte.

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Jonjo und Mickybo sind Zwei Banditen

Inmitten des Konflikts trifft der Erzähler des Films Jonjo den draufgängerischen Mickybo. Der ist gerade auf der Flucht vor zwei Jungs, die ihn vermöbeln wollen – und eigentlich auf der "falschen" Seite der Stadt. Die beiden werden Freunde und schleichen sich gleich zu Beginn in ein Kino, wo sie Zwei Banditen von George Roy Hill mit Paul Newman als Butch Cassidy und Robert Redford als The Sundance Kid sehen. Die beiden beschließen – oder vielmehr: Mickybo überredet den eher behütet aufgewachsenen Jonjo – eine Ganz zu gründen. In den Tagen danach verstricken die beiden sich immer mehr in ihre Abenteuer, die oft 1:1 von Szenen aus Zwei Banditen inspiriert sind. Diese Originalszenen sieht man auch im Film, was nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist. Loanne erzählte dem Irish Film & Television Network in einem Interview: "Newman und Redford mussten ihre persönliche Zustimmung zur Verwendung dieser Clips geben. Das haben sie getan. Sie haben uns erlaubt, sie zu verwenden, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatten. Ich denke, ihnen gefiel, was sie da gelesen hatten. "

Ein Herzensprojekt, basierend auf einem Theaterstück

Für Terry Loanne war dieser Film ein Herzensprojekt. Er führte nicht nur Regie, sondern schrieb auch das Drehbuch. Dieses basiert auf dem Theaterstück "Mojo Mickybo" von Owen Mc Cafferty. Loanne war im Jahr 2000 Production Designer bei einer Aufführung. "Ich habe gleich den Autoren kontaktiert und ihm gesagt, dass wir unbedingt einen Film daraus machen müssen. Zu meinem Glück, hat er es mir einfach übergeben und gesagt: ‚It’s your baby now... Mach es so, wie du es machen willst.‘" Terry Loane gibt zu, dass es bis zu diesem Punkt so einige Neubearbeitungen seinerseits brauchte. "Ich schrieb es und schrieb es neu und schrieb es neu und schrieb es neu und schrieb es neu…"

Jonjo (rechts) sagte kurz zuvor zu Mickybo: "Wir müssen nur vier Stunden lang unaufällig bleiben, OK?" © Kinowelt GmbH

Jonjo (rechts) sagte kurz zuvor zu Mickybo: "Wir müssen nur vier Stunden lang unaufällig bleiben, OK?" © Kinowelt GmbH

Ein Feelgood-Film voller Schmerz

Man merkt dem Film diese intensive Liebe und Arbeit an, die Terry Loane Mickybo und ich zuteil werden ließ. Das Casting ist perfekt: John Joe McNeill als Mickybo und Nial Wright als Jonjo dürften niemanden kalt lassen. Aber auch die Nebenrollen sind formidabel besetzt. Julie Walters als resolute und ironische Mutter von Mickybo. Gina McKee als Jonjos empfindsame Mutter, die sich schließlich von ihrem fremdgehenden Mann (Ciarán Hinds) trennen wird. Vor allem, wenn Jonjos und Mickybos Abenteuertouren auch aus Belfast hinaus führen und die beiden zeitweise in ganz Irland polizeilich gesucht werden, dreht der Film noch einmal auf. Die "Troubles" sind dabei allgegenwärtig – aber es ist eine große Stärke von Mickybo und ich, das Loane niemals den moralischen Erklärer gibt, sondern nach und nach zeigt, wie die Anschläge, die Gewalt und der Hass auf die "Gegenseite" selbst Freundschaftsbande zerfressen. Vor allem in den letzten zwanzig Minuten ist es erst einmal vorbei mit dem Feelgood Vibe, den die Freundschaft der charismatischen Rotzlöffel zuvor ausgelöst hat.

Warum dieser Film nicht das Standing von Billy Elliot oder Belfast hat? Wir wissen es ja selbst nicht. Aber so traurig das auch sein mag, gibt es uns hier nun die Chance, Ihnen Mickybo und ich noch einmal ans Herz zu legen. Es ist, und das schreiben wir nicht leichtfertig, einer der schönsten Coming-of-Age-Filme, die wir seit langem gesehen haben. Wir empfehlen allerdings, wenn Sie es sich sprachlich zutrauen, den Film in der Originalsprache zu sehen – irisches und britisches Fluchen ist ja nun mal leider unübersetzbar …

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