Arsène Lupin ist ursprünglich der Held einer Buchreihe, die der französische Schriftsteller Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts ersann. Trotz des großen Erfolgs hätte der Autor sich zwei Dinge wohl nicht träumen lassen. 1.) dass sein Landsmann Jacques Becker den Meisterdieb Lupin im Jahr 1957 auf der Leinwand gegen Kaiser Wilhelm II antreten lassen würde und 2.) dass im 21. Jahrhundert eine Fernseh-Serie durch die Decke ginge, die Lupin in die Jetztzeit versetzt und mit einer vollkommen anderen Hintergrundgeschichte ausstattet. Ein brillanter Tanz auf der Metaebene, der in der vorpostmodernen Zeit noch undenkbar schien, dessen Schatten Beckers ebenfalls kongeniale 1950er-Adaption jedoch bereits vorauswarf. So fußte die Verfilmung mit Robert Lamoreux als Arsène Lupin, der Millionendieb nicht auf einer Originalgeschichte Leblancs. Dafür orientierte sie sich umso mehr an der prinzipiellen Gewitztheit des Gauners, der nicht aus Habgier nach dem Eigentum anderer trachtet, sondern wie ein Robin Hood aus höheren Motiven die Reichen bestiehlt.
Doris Day und Sean Connery oder Lilo Pulver und Robert Lamoreux? © Studiocanal
Die Handlung unter Jacques Beckers Regie, in deren Verlauf Lupin auf Liselotte Pulver in der Rolle der smarten Widersacherin Mina von Kraft und auf einen raumgreifenden O.E. Hasse als selbstgerechten deutschen Herrscher trifft, steckt voller politischer Anspielungen, auch die jeweiligen Eigentümlichkeiten der "Erbfeinde" Deutschland und Frankreich bekommen ihr parodistisches Fett weg. Dabei mögen einige Referenzen dem damaligen Zeitgeist geschuldet sein und aus unserer Sicht althergebracht wirken. Doch zumindest lässt sich sagen, dass der schier unwiderstehliche Charme des Schürzenjägers Lupin, der in der Figur des Gentleman eine höfliche Umschreibung erfährt, nicht immer zum Ziel führt. Die scheinbar naive Maniküristin etwa hat neben der obligatorischen Feile auch ein Paar Handschellen griffbereit. Schwerenöter Lupin bekommt von den Damen zwischendurch auch mal, was er verdient, während er schlussendlich im Kampf gegen die Dummen und Bösen triumphieren darf. Ein Plot, der von Becker wiederum mit einer Liebe zum Detail in Szene gesetzt wird, die beim mittlerweile gewohnten Erzähltempo im Kino und bei derartig verwickelten Verwicklungen kaum mehr möglich erscheint. Dank dieser inszenatorischen Geschicklichkeit der guten alten Schule und den vielen Seitenhieben auf gesellschaftliche Hierarchien bleibt Arsene Lupin, der Millionendieb die bis dato eleganteste Lupin-Verfilmung.
In der Netflix-Produktion Lupin wiederum hört die Hauptfigur auf den Namen Assane Diop. Wie Arsène Lupin wechselt auch der von Omar Sy gespielte Diop Aussehen und Identität nach Belieben – allein die Neu-Interpretation der Vorlage ist schon ein wundersamer Akt der Verwandlung. Verwandlungskunst wurde in Jacques Beckers Version ja noch zu einem Schränkchen komprimiert, in dem der kunstbeflissene Lupin seine falschen Schnauzbärte und Perücken aufbewahrt, als habe er diese Utensilien als Gimmicks in "Yps"-Heften vorgefunden (mal davon abgesehen, dass er auf diese Weise zum Rolemodel eines gewissen Inspektor Clouseau geworden sein dürfte und nebenbei auch einige Charakterzüge eines gewissen James Bond vorwegnahm). Täuschungsmittel der Verkleidung, die in den 1910er Jahren ausreichten, um die Staatsmacht an der Nase herumzuführen, allerdings nicht eine Blondine von Welt wie besagte Mina von Kraft. Der heutige Diop ist natürlich zudem mit allerlei anderen Techniken vertraut, um sich der Polizei zu entziehen. Arsene Lupin selbst ist in der Geschichte ein literarischer Held aus der schwierigen Kindheit Diops, den dieser als Erwachsener zum Leben erweckt – in einer reflektierten Form, die ebenfalls dem Zeitgeist entspricht, nämlich unserem, weshalb seine Moralvorstellungen mitunter sehr korrekt erscheinen. Ihre Welthaltigkeit und ihr feines Gespür für Alltagsrassismen und die ewige Plage des Sexismus ist der Serie dabei wahrlich nicht abzusprechen. Gemeinsam mit dem Idol hat Assane Diop allerdings noch das Selbstverständnis als Gentleman – und auch einige menschliche Schwächen, die seinen starken Charakter seit jeher erst ausmachen. Und wie er sich aus jeder misslichen Lage befreit – das ist auch schon wieder richtig fesselnd.
WF