Persepolis ist nicht nur ein politischer Animationsfilm nach der gleichnamigen Graphic Novel von Marjane Satrapi. Die 1969 im Iran geborene Satrapi erzähl die Geschichte ihres Erwachsenwerdens darin recht schonungslos. Es ist der Versuch, eben nicht allzu schleierhaft und autofiktional zu werden bei der Fiktionalisierung des eigenen Lebens. Das vorwitzige Kind, das sie da porträtiert, und das sich unter den herrschenden Bedingungen nach der islamischen Revolution zu einer kämpferischen Frau entwickelt, ist gerade deswegen so sympathisch, weil diese Marjane eben auch ein paar kleine menschliche Makel hat (und dass sie Iron Maiden für Punk hält, ist natürlich auch ein wundervoller Fingerzeig darauf, was es bedeutet, sich die Welt nach eigenen Maßstäben anzueignen). Satrapis persönliche Perspektive, die sie in schlichten aber aussagestarken Schwarzweißbildern zu Papier brachte und mit Co-Regisseur Vincent Paronnaud 2007 eigenhändig fürs Kino adaptierte, lässt sich dabei nicht trennen von den gesellschaftlichen Umwälzungen nach dem Sturz des Schah von Persien und seines autokratischen Regimes, das 1979 durch die Herrschaft des Ayatollah Khomeini abgelöst wurde. Der erste Golfkrieg zwischen Iran und Irak spielte ebenfalls eine wichtige für sie und ihre Familie. Dieser Krieg führte dazu, dass Satrapi für eine Weile nach Wien geschickt wurde.
Revolutionäre Zeiten: Kein Klima für individuelle Freiheit © 2007 STUDIOCANAL - FRANCE 3 CINEMA
Die weltpolitischen Machtspiele, die im Hintergrund für ein lange anhaltendes Blutvergießen in der Region sorgten und letztlich dabei halfen, den islamischen Staat zu stabilisieren, der nach innen Stärke demonstrieren und seine Kritiker mit brutalen Mitteln mundtot machen konnte, um nach außen Wehrhaftigkeit zu zeigen, könnte man wiederum als den Makel der so genannten freien westlichen Welt erkennen. Deren Einflussnahme hat eben nicht immer nur positive Folgen, mitunter folgt sie einfach der Logik des Geldverdienens. So wird in Persepolis ganz nebenbei erwähnt, dass beide Kriegspartner so lange aus den USA und Europa mit Waffen versorgt wurden, bis die Opferzahlen Ende der 1980er Jahre in die Millionen gestiegen waren. Auch danach, das wissen wir heute, kam die Gegend politisch nie mehr zur Ruhe.
Satrapi schildert ein Einzelschicksal, umhüllt vom Schicksal ihrer Familie. Zugleich ist ihre Geschichte ein historisches Dokument, das uns auch noch mal daran erinnert, unter welchen Umständen es geschehen konnte, dass ein so großartiger Schriftsteller wie Salman Rushdie erst kürzlich von einem blindwütigen Fanatiker auf offener Bühne fast ermordet wurde. Dies alles liest man zwischen den Panels von Satrapis Buch und zwischen den Bildern dieses Films, der Zeiten heraufbeschwört, die vergangen sein mögen aber längst nicht vorüber sind. Gerade die Demonstrationen der Frauen im Iran gegen die patriarchale Unterdrückung sind ein Hinweis auf Verhältnisse, die jeden Moment kippen könnten. Im Iran wurde Persepolis nach seiner Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film übrigens sogar gezeigt, allerdings nur vor ausgewähltem Publikum und um 25 Minuten gekürzt. Man wäre gerne dabei gewesen, als die Mullahs Satrapis Geniestreich inspizierten. Aber zeichnen wir lieber gemeinsam mit Marjane Satrapi noch einmal den Lebensweg nach, der sie nicht in deren Gewalt, sondern schließlich nach Paris führte – möglich ist das nun in einer beeindruckenden 4K-restaurierten Fassung auf UHD, Blu-ray, DVD oder digital, ab Dezember auch im ARTHAUS+-Channel –, wo sie heute lebt und kluge, unterhaltsame Filme wie Huhn mit Pflaumen und Marie Curie – Elemente des Lebens verwirklicht. Als freier Geist – politisch etwas zurückhaltender, aber künstlerisch weiterhin voller Tatendrang.
WF