Sommernacht in Neukölln. Etwas benommen verlasse ich das Kino Neues Off und gehe in Richtung Hermannplatz. In der letzten Stunde hat es augenscheinlich gewittert. Der Boden ist nass, die Schwüle nicht mehr so drückend. Ich glaube, feinen Nebel zu sehen. Ein junger Mann in einem gelben Friesennerz eilt an mir vorbei. Wäre es ein kleines Mädchen in einer roten Jacke gewesen – ich hätte einen Herzinfarkt bekommen.
Nach dem Tod von Donald Sutherland – und vermutlich auch als Folge des Sommerlochs – haben einige Kinos Wenn die Gondeln Trauer tragen wieder ins Programm genommen. Augenscheinlich eine gute Idee, denn die Spätvorstellung ist gut besucht. Vermutlich kennen alle Anwesenden diesen Klassiker von Nicolas Roeg, der sich nicht entscheiden kann und will, ob er nun Drama oder kalter Horror ist.
Die jung verstorbene Christine Baxter, gespielt von Sharon Williams. © Arthaus / Studiocanal
Genau diese Ambivalenz hat mich schon damals, beim Erstkontakt, beunruhigt. Ich habe den Film – wie viele andere brutale, kranke, faszinierende, abgründige Filme – irgendwann im Nachtprogramm der Öffentlich-Rechtlichen gesehen. Mit leisem Ton, weil meine Eltern nicht wissen durften, dass ich den Fernseher, den ich zu meinem zwölften Geburtstag mit meinem eigenen Zimmer geschenkt bekommen hatte, um die Zeit noch nutzte.
Ich muss 13 gewesen sein, schlief schlecht, weil mich die Pubertät und meine neue Faszination für Horror-Geschichten verwirrten. Mit zwölf hatte ich zum ersten Mal ein Buch von Stephen King in die Hand bekommen. Es war die Novellen-Sammlung "Frühling, Sommer, Herbst und Tod" – aus denen einige der besten King-Verfilmungen entstehen sollten: Stand By Me, Die Verurteilten und Der Musterschüler. Ein guter, eher weicher Start: Zwar sind viele Geschichten düster, aber noch weit entfernt vom übernatürlichen Horror anderer Bücher. Es folgten "Stark – The Dark Half" und "Es" – und damit wars das mit ruhigem Schlaf. Die Kastrations-Szene aus "Stark" und der Clown, der die eigenen Ängste der Menschen manifestieren kann, waren der Horror, der mir wirklich zusetzte.
Aber irgendwie genoss ich diese Empfindungen auch – weil man sich dadurch den eigenen Ängsten stellen und sie vielleicht sogar überwinden konnte. Die logische Eskalation: Horrorfilme. Und damit landete ich im Nachtprogramm bei Wenn die Gondeln Trauer tragen.
Seitdem habe ich ihn natürlich einige Male gesehen, aber dieser Kinoabend im Neuen Off ist etwas Besonderes. Vielleicht, weil ich den Film zum ersten Mal auf großer Leinwand sehe. Fast kommt es mir vor, als säße da wieder der zwölfjährige Junge mit großen Augen von einst, der sich nicht wirklich erklären kann, warum er so unglaublich nervös ist.
Aber das ist die Stärke von Roegs Film: Laura (Julie Christie) und John Baxter (Donald Sutherland) werden gleich zu Beginn von einem sehr realen Grauen gepackt: Ihre Tochter ertrinkt in einem Moment der Unachtsamkeit im Teich vor dem Haus der Baxters – in der bereits erwähnten roten Regenjacke. Wie John das Kind aus dem Teich zieht, vor Schmerz geradezu jault und sie ungläubig in den Armen wiegt – das bricht einem schon in den ersten zwanzig Minuten das Herz.
Ein beunruhigendes Abendessen der Baxters in Venedig. © Arthaus / Studiocanal
Und dann kommt die Venedig-Zeit, die mich immer noch völlig fertig macht. Eigentlich sieht man wenig Grauenhaftes dort, aber die angedeuteten dunklen Omen, die Todesfälle in der Stadt, die seltsamen Schwestern, der Nebel, das Mädchen mit der roten Regenjacke und die vielen dunklen Ecken, die sich nachts ausbreiten und aus der begehbaren Postkarte eine Kulisse wie aus einer Story von H.P. Lovecraft, Thomas Ligotti oder natürlich Daphne du Maurier machen – die kriechen einem in die Sinne, nagen an den Nerven, lassen den Puls langsam aber beständig ansteigen.
Am Ende ist es fast eine Erlösung, wenn das Böse endlich sein fratzenhaftes Gesicht zeigt und das Publikum ein paar Minuten später erschöpft zu dramatischer Musik in die Nacht entlassen wird.
Auf dem Heimweg überlege ich immer noch, warum mir gerade dieser Film von all den Horrorfilmen, die ich später noch sehen sollte, so eindrücklich im Bewusstsein geblieben ist. Ich glaube, es liegt daran, dass er mir nicht nur den kalten, nebligen Horror gezeigt hat, sondern auch das Grauen, das tiefe Trauer und der Verlust eines geliebten Menschen auslösen können – und der Wahn, der daraus entstehen kann, wenn die irreale Hoffnung aufkommt, man könne diesen Menschen noch einmal wiedersehen.
Es sollte damals zum Glück noch ein paar Jahre dauern, bis ich zum ersten Mal um einen geliebten Menschen trauern musste – ein enger Schulfreund, der mit 19 tödlich verunglückt war. Und natürlich kommt kein Film der Welt an dieses harte, kalte Gefühl ran, dass man dann im ganzen Körper und vor allem im Herzen empfindet. Aber dieser Film – Wenn die Gondeln Trauer tragen – ist eben verdammt nah dran.