Rainer Werner Fassbinder war bestens organisiert in seinem Tun, auch wenn er nach außen hin vielleicht nicht diesen Eindruck erweckt haben mag. Doch die Fülle seines Schaffens spricht im Rückblick für sich: Wie hätte ein chaotischer Mensch es hinbekommen sollen, zwischen 1966 und 1982 45 Filme zu drehen, darunter mehrteilige Fernsehserien wie Acht Stunden sind kein Tag? "Was das Filmemachen oder das Arbeiten an sich anbetrifft, bin ich ein ordentlicher Mensch", bekannte der Filmemacher selbst – und zur schöpferischen Methode, nach der er vorging, auch als Schauspieler, Drehbuch- sowie Theaterautor und Produzent, ist noch bis zum 6. März 2022 eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn zu besichtigen.
Arbeiter oder Denker oder beides? © Studiocanal
Damit endet "Methode Rainer Werner Fassbinder" gut drei Monate, bevor sich Fassbinders Todestag im Juni das 40. Mal jährt. Und, ach, die Zeiten haben sich wahrlich geändert! In der Retrospektive werden auch Auszüge aus Briefwechseln ausgestellt, denen zu entnehmen ist, wie selbstbewusst Fassbinder den Fernsehredaktionen gegenüber publikumsfreundliche Sendeplätze für seine Produktionen einforderte. Es offenbaren sich ein Ton und Anspruchsdenken, die man sich heute in einem solchen Kontext kaum vorstellen kann. Der 2014 verstorbene Dokumentarfilmemacher Harun Farocki, der zu etwa derselben Zeit wie Fassbinder mit der Arbeit begann und die 1970er Jahre hindurch und bis zu seinem Tod ebenfalls zahlreiche hochspannende Filme produzierte, die gesellschaftliche Analyse mit einer persönlichen Handschrift verbanden, landete schon zu Lebzeiten in Kunsträumen, da seine Filme im Fernsehen und im Kino irgendwann nicht mehr liefen. So boten ihm Galerien und Museen Zuflucht, auch wenn er es bevorzugt hätte, woanders stattzufinden.
Leben, lieben, flippern © Studiocanal
Ob es Fassbinder ähnlich ergangen wäre? Bis zum Schluss stellte er seine eigenwilligen Werke für Fernsehen und Kino her – und als Produktion für das aufkommende Massenmedium TV sticht ganz besonders die "Familienserie" heraus, die hier anfangs schon genannt wurde und heute auch als Fassbinders Acht Stunden sind kein Tag bekannt ist. In fünf Folgen, die in Köln spielen, jedoch in Wuppertal gedreht wurden, schildert Fassbinder Geschichten aus Arbeiterfamilien. Die Serie feiert in diesem Herbst ein Jubiläum, denn die erste Folge ging vor fünfzig Jahren im Herbst 1972 über den Äther. Fassbinder machte damals nicht nur ein Fass auf, sondern zwei, drei, vier Fässer. Aber die Beschäftigung einer Kolonne von Facharbeitern im Werkzeugbau spielt dennoch die zentrale Rolle, und wenn man bedenkt, welche Veränderungen es in diesem klassischen industriellen Sektor im letzten halben Jahrhundert gegeben hat und wie die Arbeitswelt als Ganze sich im selben Zeitraum gewandelt hat, so verblüfft vor allem die Tatsache, das Fassbinder und sein Ko-Autor Peter Märtesheimer (ihre Korrespondenz ist in Bonn ebenfalls zugänglich und sehr lesenwert) die wichtigsten Zeichen der Zeit erkannt hatten. Mehr Selbstbestimmung durch die Arbeiter*innen wussten die Arbeitgeber*innen schon damals profitabel umzudeuten.
Wem gehört die Welt? © Studiocanal
Dass bei diesem Profitdenken wiederum die Arbeiter*innen selbst, von denen die Initiative ausging, mit einem Almosen abgespeist werden sollten, während sie im Alltag mit steigenden Mieten, festgefahrenen Geschlechterrollen, dem Problem der Kinderbetreuung oder blankem Rassismus konfrontiert wurden, ist eine der Lehren, die man aus Acht Stunden sind kein Tag passend zum aktuellen Zeitgeschehen ziehen kann. Ein wenig Nostalgie darf aber auch aufkommen, wenn man die alten Kulissen, Straßenzüge oder Autos, und klasse Schauspieler*innen wie Hanna Schygulla, Irm Hermann, Gottfried John, Luise Ullrich oder den begnadeten Werner Finck in der Rolle des Gregor sieht. Bingewatching mit Erkenntnisgewinn garantiert. Danach kann man sich Fassbinder getrost auch im Museum zu Gemüte führen.
Hier gibt es alle Informationen zu ARTHAUS+ auf Apple TV und hier geht’s zum Channel bei Amazon.
WF