Eines vorweg: Diese Liste soll inspirieren und nicht belehren. Unter den zahlreichen TikTok-Videos zu Saltburn findet man nämlich auch viele klugscheißende Beiträge älterer Männer, die den Kids vorbeten, dass Die 120 Tage von Sodom von Pier Paolo Pasolini doch viel "sicker" sei und Fennell überhaupt überall geklaut habe. Hat sie nicht – sie zitiert. Das macht man in der Popkultur so. Aber jetzt zum Thema – und das ist bei Saltburn auch und vor allem: reiche Arschlöcher. Die werden in England traditionell an der Oxford University ausgebildet, von wo aus sie später in die britische Politik gehen und das Land aus Europa raus und direkt vor die Wand fahren (Boris und David, we’re looking at you!). Lone Scherfig zeigt in The Riot Club, eine Adaption des Theaterstücks "Posh" von Laura Wade, wie eine Gruppe junger Männer in ihrem exklusiven Club steilgeht – und ein paar Grenzen zu viel überschreitet. Ähnlich wie bei Saltburn profitiert auch dieser Film von seinem hotten Cast und den aus Klassenunterschieden resultierenden Spannungen.
Ästhetisch betrachtet könnten diese beiden Filme nicht weiter voneinander entfernt sein: In Saltburn ist jede Einstellung stilisiert und komponiert, während Thomas Vinterbergs Das Fest die Regeln der dänischen Gruppe Dogma 95 etablierte. Parallelen gibt es aber im Setting des Reiche-Leute-Familiensitzes. Während sich die Familie Catton bei Saltburn vor allem dank des äußeren Einflusses von Oliver Quick (Barry Keoghan) zerlegt, kriegt das die Familie Klingenfeldt-Hansen in Das Fest schon ganz gut alleine hin.
Der immense Erfolg von Saltburn ist natürlich auch durch die Schauwerte zu erklären, die der Film aufbringt. Und damit sind nicht (nur) Barry Keoghan, Jacob Elordi und Rosamund Pike gemeint. Man sieht reichen Leuten dabei zu, wie sie Dinge tun, die reiche Leute eben so tun. An Orten, die so aussehen wie die Wohnorte von reichen Leuten halt so aussehen. Emerald Fennell lässt ihren Kameramann Linus Sandgren dabei mehr als einmal von der Leine, um sich an diesem Anblick zu weiden. Diese optischen Reize, in Verbindung mit dem bissigen Humor stehen sehr deutlich in der Tradition von Fellinis La Dolce Vita, der es sich im Gegensatz zu Saltburn auch leisten konnte, ein paar üppige Location mehr zu erkunden.
Für viele Dinge in Saltburn muss man selbst eine Erklärung finden. Fennell liebt es, Fallen zu legen und das Publikum auf falsche Fährten zu schicken. Das macht vor allem ab jenem Moment Spaß, in dem Barry das Saltburn-Anwesen betritt und sich die Handlung vor allem dort abspielt. Realer Drehort dafür war übrigens das Drayton House im britischen Northhamptonshire. Alain Resnais‘ Spielfilm aus dem Jahr 1961 kreiert eine ganz ähnliche Atmosphäre, in der das Grand Hotel, in dem die Handlung spielt, ebenfalls eine Art Protagonist zu sein scheint. Bei so mancher Szene könnte man glauben, Fennell hätte Linus Sandgren mit ein paar Standbildern aus Letztes Jahr in Marienbad gebrieft. Im Gegensatz zu Saltburn nutzte man für Marienbad mehrere Anwesen. Um genau zu sein: die Schlösser in Schleißheim sowie Nymphenburg in München mit der Amalienburg sowie ein Hotel in Courbevoie bei Paris.
Der von Barry Keoghan gespielte Oliver Quick in Saltburn steht eindeutig in der Tradition eines gewissen Tom Ripley aus Patricia Highsmiths "Der talentierte Mr. Ripley". Da macht es natürlich Sinn, dass man sich noch einmal eine der besten Verfilmungen des Romans anschaut: René Cléments Nur die Sonne war Zeuge aus dem Jahr 1960, mit Alain Delon in der Hauptrolle. Emerald Fennell sagte übrigens zu dem Ripley-Vergleich: "Natürlich ist Highsmith eine meiner absoluten Favoritinnen, aber ich glaube, ich habe mich eher an der britischen Landhaustradition von ‚The Go-Between‘ orientiert und an dieser sehr spezifischen britischen, Joseph-Losey-artigen Welt, in der Klasse, Macht und Sex an einem bestimmten Ort aufeinandertreffen."