Es ist schwierig, sich eine Lieblingsszene aus diesem Meisterwerk von Ingmar Bergman herauszupicken. Dabei scheint der Titel Szenen einer Ehe geradezu wie eine Einladung, sich dieses Beziehungsdrama aus dem Jahr 1973 mit Liv Ullman und Erland Josephson in den Hauptrollen für diese Rubrik noch einmal vorzuknöpfen.
Aber im Grunde gilt für die über zweistündige, dialogreiche Auseinandersetzung mit einem bürgerlichen Verständnis von Liebe in den Nachwehen der sexuellen Revolution, aus der Perspektive eines Vorzeigepaars der Mittelklasse in einem der führenden Industrienationen und demokratischen Länder Europas: Es ist eine endlose Geschichte. Sie erzählt von den Routinen häuslicher Zweisamkeit und ist doch in einem beständigen Flow begriffen. Alles entwickelt sich – weg von jenen klopfenden Herzen, die einmal einander die Liebe mit ihren Klopfzeichen gegenseitig gestanden haben mögen – hin zu einer reiferen Form des Zusammenseins. Seitensprünge, Eifersucht, Streit inklusive. Das bürgerliche Publikum, so hieß es damals, setze die Aufführung nach dem Kinobesuch vor dem Kino weiter fort (oder nach einer Folge im Fernsehen, ursprünglich war der Stoff ja als TV-Serie konzipiert und ausgestrahlt worden.) Und so ist Szenen einer Ehe als Titel zwar passend gewählt, denn nach diesen Szenen folgen die Szenen des eigenen Lebens. Aber Lieblingsszenen? Hm.
Machen einander das (Ehe-)Leben nicht leicht: Johan und Marianne © Studiocanal
Nun, der rationale Aspekt der Leidenschaft, um den es in bürgerlichen Kreisen wie jenen von den hier porträtierten Johan und Marianne immer auch geht, kommt bereits im anfänglichen Interview für eine Zeitschrift bestens zum Ausdruck. Deshalb wollen wir bei dieser Anfangssequenz verweilen, der sich ein Essen mit dem befreundeten Pärchen Katarina und Peter anschließt, während dem die letztlich blumig-schmeichelhafte Homestory vorgelesen wird. Johan und Marianne sind beim Interview auf einem kleinen Sofa drapiert, und versuchen in einer halbwegs "natürlichen" Art die Fragen der Magazin-Journalistin zu beantworten. Doch immer wieder werden sie aus dem Off unterbrochen und gebeten, eine bestimmte Haltung etwas länger für die Aufnahme eines Fotos zu bewahren. Regisseur Bergman führt dabei recht kunstvoll vor, wie man mit wenigen Mitteln eine komplexe Situation aufbauen kann – im Mittelpunkt der forsche Johan, der sofort mit der Selbstinszenierung beginnt, latentes Chauvi-Gehabe mit ironischen Kommentaren mischt und eine Persona entwirft, die seine zu Beginn recht passive Gattin jedoch nur allzu gut zu kennen scheint. Denn hinter der Inszenierung für die Presse steckt die Binneninszenierung. Das "Ich" des anderen, mit dem man es in einer Zweierbeziehung bis in die intimsten Momente hinein zu tun hat.
Mit der Ehe geht man ein Vertragsverhältnis ein © Studiocanial
Oder gibt es da noch ein anderes "Ich"? Jemanden, den man mit der Zeit allmählich kennenlernt? Obwohl man die Person, die man liebt, bereits zwei Mal kenngelernt zu haben glaubt – beim Verlieben und im gemeinsamen Leben? Achten Sie in diesen ersten Filmminuten in jedem Augenblick auf Liv Ullman und Erland Josephson! Wie sich Vertrautheit und Entfremdung dialektisch in ihren Gesten und Worten spiegeln, während die beiden sich gleichzeitig belauern und einander beistehen, als befolgten sie ein Ritual – und sich somit auch gemeinsam in Szene setzten, nämlich als mustergültiges bürgerliches Ehepaar. Die Relevanz des nur scheinbar altmodischen Stoffes lässt sich übrigens ganz aktuell an Mia Hansen-Løves Spielfilm Bergman Island ablesen, der Szenen einer anderen Ehe auf Fårö unter die Lupe nimmt. Und natürlich am Sky-Remake von Szenen einer Ehe mit Jessica Chastain und Oscar Isaac, in dem die Rollen unter den Geschlechtern abweichend verteilt sind. Ingmar Bergman hätte diese Adaptionen sicherlich äußerst interessant gefunden, er ist im Nachhinein schließlich auch immer mal wieder auf die Geschichte zurückgekommen – beinahe als wäre er einen Bund mit diesem Thema eingegangen: Bis dass der Tod euch scheidet.
WF