Es dürfte die erste weibliche Masturbation sein, die je über eine Leinwand geflimmert ist. Dargestellt von Ingrid Thulin 1963 in Ingmar Bergmans Das Schweigen. Ein eher freudloser, zwanghafter Vorgang – aber nötig. Wie das eben manchmal so ist. Die Empörung war riesig, auch weil man(n) munkelte, die Szene sei ein wenig zu authentisch geraten weil nicht gespielt. Katholische Filmkommission und "Stern" empfahlen den Film zu meiden. Innenminister Hermann Höcherl von der CSU gab eine öffentliche Stellungnahme ab. Von der FSK wurde Das Schweigen jedoch einstimmig ohne Schnitte ab 18 freigegeben. Selbst die Masturbationsszene sei "von höchster künstlerischer Intensität und treffender Symbolkraft". So wurde Bergmans Meisterwerk wohl auch dank der herrschenden Prüderie zu einem der erfolgreichsten Filme der 1960er.
In Zeiten von American Pie und Werbung für Kijimea® Reizdarm vor der Tagesschau, wird man fast ein wenig nostalgisch, wenn man sich Marco Ferreris Das große Fressen anschaut. Wobei es gar nicht so sehr die Sexszenen sind, die diese Wirkung haben, sondern die durch und durch zynische Darstellung von Völlerei und exzessivem Wohlstand, die von Ferreri natürlich intendiert waren. Dass ausgerechnet dieser eine Furz als obszöner als vieles andere im Film gesehen wurde, lag vielleicht daran, dass hier metaphorisch auf das kultivierte Klavierspiel der feinen Gesellschaft, pardon, geschissen wird.
Ein an Geschichten und Bedeutungen reicher Text wie das Neue Testament sollte viele Interpretationen zulassen. Einer phantasievollen Exegese stehen jedoch religiöse Dogmen im Weg. Der Katholik Martin Scorsese hat sich immer wieder mit christlichen Motiven auseinandergesetzt – und wagte 1988 den großen Tabubruch. So wie er wagte noch keiner Jesus von Nazaret zu vermenschlichen. Noch bis zur Kreuzigungsszene ist Scorsese halbwegs auf Bibelkurs. Doch dann erscheint Willem Dafoe als Messias ein Schutzengel. Der Heiland steigt vom Kreuz und gibt sich der Vielweiberei hin anstatt erst aus dem Grab aufzuerstehen wie von der Vorsehung bestimmt. Die Legionen Protestierender vor den Kinos glichen beinahe schon Horden von Kreuzzüglern.
Diese tiefenpsychologisch vibrierende und Gänsehaut erzeugende Verfilmung einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier aus dem Jahr 1973 hat es an einer Stelle ganz besonders in sich. Enthält sie doch eine Sexszene, die sowohl künstlerisch gesehen als auch in den Skandalchroniken Geschichte schrieb. Regisseur Nicolas Roeg schnitt die verschiedenen Phasen des Akts und des Vorspiels auf virtuose Manier zusammen – Steven Soderbergh baute in seinem Thriller Out Of Sight gar eine Hommage an die legendär gewordene Sequenz ein. Zudem hielten sich über Jahrzehnte Gerüchte, dass die Darsteller*innen Donald Sutherland und Julie Christie hier die Grenzen der Schauspielerei überschritten und es "in echt" getan hätten. Sutherland sah sich noch mit 82 zum Dementi genötigt. Fun Fact: Sowohl er als auch der Film sind gut gealtert.
Haben sie nun "in echt" oder haben sie nicht? Donald Sutherland und Julie Christie.
Anne Bancroft und Dustin Hoffman in einem Film von Mike Nichols (1967). So nüchtern kann man den Klassiker Die Reifeprüfung selbst über 50 Jahre nach seiner Entstehung nicht betrachten. Dieser Film ist derart aufgeladen mit einem einerseits sehr ernsthaften und einem anderseits sehr humorvollen Umgang mit dem US-amerikanischen Stock im Hintern zu Zeiten der anschwellenden sexuellen Revolution, dass es jetzt noch beim Zuschauen kribbelt. Den Macher*innen kam zugute, dass der Hays-Code von Hollywoods Filmindustrie just im selben Jahr endgültig außer Kraft getreten ist. Dessen Normen untersagten Darstellungen von Obszönität, Vulgarität und Kriminalität, Brutalität in bestimmten Formen sowie Gotteslästerung oder Anstiftung zu subversiven Umtrieben jeder Art. Demnach wäre der ja der diabolische Grundkonflikt der Reifeprüfung schon der Selbstzensur zum Opfer gefallen. Eine verheiratete Frau verführt einen jüngeren Mann. Heute muss man sagen: Wer das nicht gesehen hat, dem fehlt ein Stück Aufklärungsunterricht.
WF DK