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Volker Schlöndorff über die Arbeit mit Max Frisch: "Im Grunde hat er seinen eigenen Roman auseinandergenommen."

Während der Dreharbeiten von "Homo Faber" erfuhr Max Frisch von seiner schweren Krebserkrankung – den fertigen Film bekam er aber noch zu sehen. Wir haben Volker Schlöndorff gefragt, wie die Zusammenarbeit mit Max Frisch in dieser intensiven Zeit verlief. Dieser Text ist ein Transkript daraus.

19. Juli 2024

"Homo Faber" hat eine sehr besondere Struktur: Das ist erstens in zwei Teilen erzählt, dann wird das Ganze noch mal aufgerollt in einem Tagebuch, und dann kommt noch dieser zweite Teil, der fast noch mal so lange ist wie das, was wir im Film gesehen haben. Es gab also ganz, ganz viele Dinge, die ich als Regisseur eliminieren musste. Andere Autoren hätten da argumentiert: ‚Aber das ist doch auch wichtig!‘. Max Frisch war da anders. Er war Theaterautor und auch noch Architekt. Ich habe ihm gesagt: "Ich brauche hier eine Struktur. Im Grunde muss das ein Dreiakter sein. Nach dem zweiten Akt ist Vorhang, dann eine Pause und dann muss es noch mal richtig losgehen im dritten Akt. Da ist schließlich Katharsis und Ende." Das versteht ein Theaterautor natürlich sofort. Insofern war es mit ihm irgendwie sehr befriedigend, daran zu arbeiten.

Es ging bei Max Frisch immer um Struktur. Man hat gemerkt, dass er wie der Architekt denkt, der er ja auch war. Da hieß es oft: Hier ist eine tragende Säule, da fehlt noch ein Pfeiler. Das sind übrigens Bilder, die nicht von mir sind, sondern von ihm. Einmal hat er bei einem Gespräch über das Drehbuch von Rudy Wurlitzer gesagt: "Da müsste man vielleicht doch noch ein Stützpfeiler einziehen." Dass jemand mit so viel Abstand drauf schaut, als ob er das Buch eines Fremden analysiert, das hat man natürlich selten. Als Theaterautor und als Architekt hat er im Grunde sein eigenes Ding auseinandergenommen. Auch die großen Eingriffe: Faber nicht sterben zu lassen und den Schweizer Ingenieur zu seinem Amerikaner zu machen, damit es Sinn macht, dass er Englisch spricht, hat er sofort akzeptiert.

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Ich habe Max Frisch den Film vor seinem Tod noch zweimal zeigen können. Einmal, nachdem der Rohschnitt fertig war, aber nur in Teilen. Da hat er zum Beispiel moniert, dass die Szenen in den Tropen ihm nicht "schleimig" oder "gruselig" genug erschienen. Das war ihm sehr wichtig. Er war sehr, sehr begeistert von Julie Delpy und von der Hannah Sukowa sowieso. Auch Sam Shepard gefiel ihm. Max Frisch ist beim ersten Gucken nicht so emotional mitgegangen. Wir haben andauernd dazwischen gequatscht, angehalten. Wie man das eben so macht am Schneidetisch in irgendeinem Studio in Zürich.

Erst als dann der Schnitt auch mit seinen Korrekturen und Vorschlägen fertig war, hat er den Film im Ganzen gesehen. Da hat er auch darauf bestanden, dass ein paar Freunde aus Zürich eingeladen werden. Aber er saß dann recht isoliert. Er wusste, dass er in der letzten Phase der Krankheit ist und hat dann tatsächlich nur noch zwei oder drei Monate gelebt. Während der Film lief hat er mit niemandem gesprochen – und auch nicht danach. Er ist dann gleich rausgegangen. Das war zwar ausgemacht mit seinen Bekannten, aber irgendwie war es natürlich ein schicksalsträchtiger Moment, dass er ausgerechnet diese Geschichte jetzt noch sieht.

Ich habe ihn natürlich nach Hause begleitet und dann hat er gesagt: "Komm am Ende des Nachmittags wieder, dann können wir darüber reden." Er wollte das erst mal verkraften. Zu Ende des Nachmittags, als ich hinkam, hat er erst nicht aufgemacht und ich musste mehrfach klingeln. Er war im Tiefschlaf gewesen. Das Erste, was er gesagt hat, war: "Ich bin doch sehr verwirrt. Man weiß ja nicht, an was das alles rührt."

Ich glaube, beim zweiten Ansehen des Films hat er nicht mehr den Film gesehen und auch nicht an den Roman gedacht. Er hat an sein eigenes erlebtes Leben gedacht, das das Schreiben dieses Romans mal ausgelöst hat. Er hat an die Frau gedacht, die er als Student kennengelernt hat in Zürich. Die dann nach Deutschland zurückgegangen ist und dann gottseidank weiter nach Amerika konnte, so dass sie überlebt hat. Er hat an sein eigenes Sabeth-Erlebnis, was es gab, gedacht. Also im Grunde war es für ihn ein Zurück zu den Anfängen. Einmal Full Circle. Zum Zeichen der Anerkennung und sozusagen als Ritterschlag hat er mir dann seinen Autoschlüssel hingehalten und gesagt: "Der Jaguar ist jetzt deiner. Wo ich hinkomme, brauch ich kein Auto."

Kürzlich erschien die in 4K restaurierte Edition von Homo Faber im Heimkino. Dieser Text ist Teil des Booklet-Magazins.

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