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Werner Herzog: Leben in der Wunschmaschine

Josef Schnelles Buch "Eine Welt ist nicht genug" versteht sich als "Reiseführer in das Werk von Werner Herzog". Ein lesenswerter Trip.

04. November 2021

Der Film als ganzheitliche Erfahrung, bei der die Inszenierung hinter der Kamera ebenso wichtig erscheint wie das Spiel der Darsteller*innen und die Filmhandlung. Mittendrin Werner Herzog als Mann der Tat, der nie um Worte verlegen ist, selbst wenn er von einer divaesken Furie wie Klaus Kinski attackiert wird. Solche Bilder und Gedanken schwirren durchs kollektive Gedächtnis der cineastisch interessierten Welt, wenn es um das Œuvre des 1942 in München geborenen Filmemachers geht, dessen Selbstbeschreibung einst als Titel einer Doku über ihn herhielt: Meine Filme, das bin ich. Werner Herzog gilt heute als einzigartiger Vertreter des Neuen Deutschen Films, der zwar das ursprüngliche Oberhausener Manifest von 1962 samt dem Slogan "Papas Kino ist tot" noch nicht unterzeichnete, jedoch im selben Jahr seinen ersten Kurzfilm fertigstellte und dadurch eine Laufbahn einschlug, die das Kino der Bundesrepublik nachhaltig prägen sollte. Geradezu selbstverständlich fallen einem sofort die künstlerischen und persönlichen Auseinandersetzungen mit Klaus Kinski ein, der in fünf von Werner Herzogs Spielfilmen die Hauptrolle spielte, etwa in Aguirre, der Zorn Gottes oder in Fitzcarraldo. Eine so fruchtbare wie furchtbare Beziehung, die Herzog wiederum in Mein liebster Feind dokumentierte, wobei er dem Hang zum Theatralischen, der schon ihrer realen Zusammenarbeit anhaftete, treu blieb. Aber Herzog ist mehr als der Punching Ball Kinskis und mehr als dessen ungezähmter Bändiger. Werner Herzog hat auf gewisse Weise die Rolle des Regisseurs neu erfunden, bevor Punk und DIY-Ethos Künstler*innen jeglicher Art auf eine provozierend gleichberechtigte Stelle mit ihrem jeweiligen Werk stellen konnten.

Werner Herzog allein im Dschungel © Studiocanal

Werner Herzog allein im Dschungel © Studiocanal

Autor Josef Schnelle spürt in seinem Buch "Eine Welt ist nicht genug" diesem inszenatorischen Impetus Werner Herzogs und dessen Leben mit Werkcharakter nach – und zwar anhand des Werkes. Herzogs Punk-Gestus avant la lettre scheint auf, der bei genauerer Betrachtung doch wieder eher der Haltung eines nach totaler intellektueller Autonomie strebenden Bürgerkindes entspricht, wie es für die 1960er Jahre nicht untypisch erscheint, während Schnelle den Motiven und der Wirkung von Herzogs Filmen auf den Grund geht. "Gefühle sind immer authentisch" heißt es an einer Stelle im Buch, es ist ein Zitat Herzogs, das die Ambivalenzen der Wunschmaschine Kino (nach Guattari) unter seiner Fuchtel zum Leuchten bringt. Denn bei aller Inszenierung und Theatralik am Set und im Film: Emotionen lassen sich zwar hervorrufen aber nur schlecht imitieren. Der Film mag eine Imitation des Lebens sein, aber die Gefühle, die er evoziert, müssen nach Herzogs Überzeugung, so wie sie recht unzweifelhaft im Raum steht, immer echt sein, und deshalb sollten auch jene Gefühle wahrhaftig sein, die in die Produktion investiert werden. Wie antwortete der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl auf die Frage, ob er im Kino weine? "Nicht nur im Kino!" Eine Antwort, die auch Werner Herzog zuzutrauen wäre, mit einem charakteristisch-manipulativen Unterton, versteht sich.

Im (inszenierten) Clinch mit Kinski

Im (inszenierten) Clinch mit Kinski

Werner Herzog ist neben seinen Filmen bekannt für spektakuläre Performances. Er verzehrte öffentlich einen Schuh und machte sich wochenlang zu Fuß auf den Weg ans Krankenbett der verehrten Filmkritikerin Lotte Eisner. Dahinter steckt stets ein gewisser Drang, selbst im Mittelpunkt zu stehen, sogar wenn es ausdrücklich um andere geht, und immer wieder rückt er mit solchen wahnwitzigen Aktionen die Bewusstmachung der Behauptung in den Vordergrund, dass man Kunst leben müsse, um sie zu verwirklichen. Als Orchesterleiter ist Herzog quasi eine One-Man-Show, manchmal wirkt er geradezu kalt und berechnend in seiner künstlerischen Selbstaufopferung und Ausbeutung sämtlicher Ressourcen im Dienst des Films. Doch ohne außergewöhnliches Einfühlungsgvermögen wären seine Filme kaum möglich – was ihn mitunter besonders zart und zugleich besonders gefährlich erscheinen lässt.

Dahinter steckt stets ein gewisser Drang, selbst im Mittelpunkt zu stehen, sogar wenn es ausdrücklich um andere geht.

Dies und noch viel mehr offenbart Josef Schnelles "Reiseführer in das Werk von Werner Herzog", in dem es etwa um seine Gastrollen in den Filmen anderer Regisseure geht – vorzugsweise als Bösewicht, der schon böse rüberkomme, wie Herzog es ausdrückt, bevor er den Mund aufmache – oder um "Die Wahrheit des Ekstatischen" und die zahlreichen Dokumentarfilme sowie die historischen Referenzen (wunderbar beschrieben anhand von Nosferatu – Phantom der Nacht ), umfänglichen Realitätsbezüge (wo hört der Film auf und wo fängt das Leben an?) oder spirituellen Aufladungen der Herzog-Filme (die ganze religiöse Ernsthaftigkeit hinter den spinnerten Ideen). Filmkritik voller Neugier, Sorgfalt, Analyse und Spannung. Ein lesenswerter Trip, der die eigene Sehnsucht nach Kino verstärkt. Nach jenem Ort, der dich mit Leib und Seele verschlingt wie kaum einer sonst.


Josef Schnelle, "Eine Welt ist nicht genug – Ein Reiseführer in das Werk von Werner Herzog", 176 Seiten, 19,80 Euro, Schüren, schueren-verlag.de

WF

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