Netflix hat mit dem Kauf der ursprünglichen Showtime-Produktion Ripley ein Näschen für den nächsten großen Hit bewiesen. Andrew Scott macht wirklich eine gute Figur als Tom Ripley. Und der Kopf hinter der Neo-Noir-Serie – Produzent, Autor und Regisseur Steven Zaillian – ist im Gegensatz zum 1955 von Patricia Highsmith erfundenen Protagonisten alles andere als ein Hochstapler. Vielmehr entpuppt sich Zaillian als Meister seines Fachs des Geschichtenerzählens, so wie Ripley ein Meister des falschen Spiels ist.
Ripley ist als solcher natürlich selbst Storyteller und Bühnenmensch. Schriftsteller*innen und Schauspieler*innen kennen den Impuls nur zu gut, in eine andere Rolle zu schlüpfen, einen neuen Namen und eine erfundene Identität anzunehmen. Das ist prinzipiell faszinierend, kann aber mitunter auch leicht beunruhigend wirken.
Delon als Ripley © Studiocanal
Es gibt eine tolle Szene in Anthony Minghellas Der talentierte Mr. Ripley (1999), in der Matt Damon als Tom Ripley seinem designierten Opfer Dickie Greenleaf die eigene Kunst der Hochstapelei so perfekt vorführt, dass Dickie eine Gänsehaut bekommt – plötzlich ist sein Interesse am anderen geweckt. Tom macht nämlich Dickies schwerreichen Vater nach. Und zwar verblüffend echt. Das Zusammentreffen am Strand mit Dickie und dessen Verlobter Marge war kein Zufall gewesen, der alte Greenleaf hatte Tom beauftragt, seinen nichtsnutzigen Sohn aus Italien zurück in die USA zu locken. Er schien der perfekte Kandidat. Ein strebsamer junger Mann, freundlich und demütig. Aber Tom Ripley denkt nicht daran, sich eine mickrige Belohnung für die Rückholaktion zu verdienen, er möchte stattdessen die Existenz von Dickie Greenleaf übernehmen. Er will sein Boot. Seine Frau. Seinen Namen. Sein Leben.
Dahinter steckt folgender Gedanke: Wie wäre es, wenn ein Kind aus bescheidenen Verhältnissen plötzlich das Leben eines in wohlhabenden Kreisen aufgewachsenen Mannes führen könnte – und all das zu schätzen wüsste, was dieser aus Gewohnheit niemals hatte würdigen können.
Die Szene zeigt auch das große Talent des Ripley-Darstellers Matt Damon. Es gehört zur genialen Idee Highsmiths, dass es sich bei den Hauptfiguren des Minghella-Films nicht um einen hässlichen und einen gutaussehenden Kerl handelt, die in eine Ménage-à-trois mit der attraktiven Marge – hier gespielt von Gwyneth Paltrow – verstrickt werden. Äußerlich stehen sie einander in nichts nach. Die feinen Unterschiede liegen woanders.
Es geht um unüberbrückbare Differenzen durch Klassenzugehörigkeit. Noch deutlicher wird das in René Cléments Verfilmung aus dem Jahr 1960. Nur die Sonne war Zeuge mit einem umwerfenden Alain Delon als Ripley, der sich nach dem Mord an Greenleaf (der hier Philippe heißt) mit der Zeit in eine immer verwickeltere Lügenkonstruktion verstrickt. Alain Delon verkörpert perfekt die Komplexität des Ripley-Charakters. Ein Typ, der im Film sympathischer gezeichnet wird als der des Ermordeten, obwohl sich Ripley schon ziemlich früh als eiskalter Killer entpuppt. Das ist ungewöhnlich. Und man kann sich streiten, welches Ende der Geschichte wohl "konventioneller“, "realistischer" oder "moralischer" ist – da gibt es schließlich Unterschiede zwischen dem Roman beziehungsweise zwischen den beiden genannten Filmen. Abweichungen, die auch der jeweiligen Zeit ihrer Entstehung geschuldet sind.
Hopper als Ripley © Studiocanal
Fest steht, dass Patricia Highsmith bis zum Ende ihres langen Lebens – im Januar 2021 wäre die vor gut 30 Jahren für den Literaturnobelpreis nominierte Autorin Hundert geworden – von der Figur des Tom Ripley gefesselt blieb. Vier weitere Ripley-Bücher verfasste sie, eins diente Wim Wenders als Vorlage für Der amerikanische Freund. In diesem Fall spielt Dennis Hopper Tom Ripley, der den todkranken Jonathan Zimmermann, dargestellt von Bruno Ganz, als Auftragsmörder gewinnen will. Ein höchst sensibel inszeniertes Psychodrama. Es zeigt Ripley schon als einen Menschen, der die Gebräuche derjenigen, die er zu imitieren pflegt, derart fest verinnerlicht hat, dass er ebenso wie sie über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen. Skrupellos. Patricia Highsmith hat mit dem cleveren Emporkömmling eine zeitlose Figur geschaffen. Die coole Interpretation von Andrew Scott in ebenso zeitlosem Schwarzweiß ist nur ein weiterer Beweis.
WF