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Hat uns das Kino denn gar nichts gelehrt?

Es gibt so viele gute Filme, die sich als Warnung vor Populismus und Faschismus verstehen lassen. Sie zeichnen ein humanistisches Weltbild, das man in der herrschenden (Medien-)Realität manchmal schmerzlich vermisst.

08. November 2024

Vieles, was man in den letzten Wochen auf den Trump-Rallys sah, bei TikTok auf die For-You-Page gespült bekam oder bei Elon Musks X lesen musste, hätte sich selbst ein John Carpenter für eine Fortsetzung von Sie leben! nicht "besser" ausdenken können. Und man darf durchaus Angst haben um die Vereinigten Staaten: Bei seiner letzten Amtszeit gab es noch viele Trump-Berater*innen der alten Garde der Republikanischen Partei, die Trump ein wenig im Zaum halten konnten. Inzwischen ist er nur noch von seinen ziemlich irren Söhnen und Leuten wie Elon Musk, Tucker Carlson und seinem Vize J.D. Vance umgeben – und er sinnt auf Rache.

Dabei muss sich ja gar nicht (nur) um die USA sorgen: Auch in vielen Teilen Europas und vor allem in Deutschland gibt es ein spürbares Erstarken rechtskonservativer, nationalistischer Kräfte, die inzwischen Mehrheiten gewinnen, die es schwer machen, sie politisch zu ignorieren. Kräfte, die unser etabliertes, demokratisches System blockieren, sabotieren und verächtlich machen – und das in einer Zeit, in der sich die bestehende Regierung gerade im Streit zerlegt hat und bald Neuwahlen anstehen.

Was Trumps Wahlgewinn und andere Rechtsrucke mit dem Kino zu tun haben? Erinnern wir uns an all die politischen Filme, die wir in unserem Leben gesehen haben, die unser Weltbild und unseren kritischen Blick auf Deutschland geprägt haben. Da wäre zum Beispiel Der Kandidat von Stefan Aust, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und Alexander von Eschwege, der uns zeigte, wie Wahlkampf klang, als noch Politiker aktiv waren, die eine recht frische Nazivergangenheit hatten. Da gab es Filme wie Die Dritte Generation, Stammheim, Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Die bleierne Zeit oder selbst der etwas reißerische Der Baader Meinhof Komplex, die uns aufwühlende Kapitel der BRD-Geschichte nahebrachten, in denen "rechts" und "links" manchmal gar nicht so klar zu trennen waren.

Da gab es Fassbinders Romanverfilmung Berlin, Alexanderplatz, der einen sehr klugen Blick auf die 20er-Jahre hatte, die einerseits eine nie geahnte Freiheit und kulturelle Offenheit brachten, gleichzeitig aber auch den Nazis den Boden bereiteten. Was Dominik Graf mit seiner fantastischen Verfilmung von Kästners Fabian oder Der Gang vor die Hunde Jahrzehnte später ebenso schaffte. Auch die totalitären Seiten der DDR wurden durch Filme wie Das schweigende Klassenzimmer aufbereitet, der zugleich ein Hohelied auf die Zivilcourage ist.

Bis an die Grenze © Arthaus / Studiocanal

Bis an die Grenze © Arthaus / Studiocanal

Wir sahen aber auch das französische Thriller-Drama Bis an die Grenze, das uns mit den unbequemen Fragen beim Thema irregulärer Migration am Beispiel Frankreichs konfrontierte. Und es gibt wuchtige Filme, wie Wir sind jung, wir sind stark, oder der noch viel bessere Oi! Warning, die sich trauen, mal genau zu schauen, was Männer an rechtsradikalen Gruppierungen interessieren könnte. Fassbinders Angst Essen Seele auf wiederum ist uns als empathischer, neugieriger Blick auf die erste Einwandergeneration ans Herz gewachsen – gerade weil er zeigt, wie wichtig dieser Blick heutzutage wäre.

Auch Die Fotografin als jüngstes Beispiel hat uns noch einmal mit den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte konfrontiert: Bei den Szenen, in denen Lee Miller mit ihrem jüdischem Kollegen David E. Scherman die Konzentrationslager in Buchenwald und Dachau kurz nach der Befreiung zu sehen bekommen, haben wir uns bis ins Mark geschämt, dass es in Deutschland gerade wieder ein große Menschengruppe gibt, die eine Partei wählt, dessen Ex-Vorsitzende die Nazizeit samt Holocaust als "Vogelschiss in der Geschichte" bezeichnet hat.

Sie leben! © Arthaus / Studiocanal

Sie leben! © Arthaus / Studiocanal

Mit Blick auf Amerika fällt uns heute zum Beispiel der Film Sie leben! von John Carpenter ein – seine unterhaltsame Abrechnung mit der unsozialen Politik unter Roland Reagan. Link Tatsachen, die selbst den entspannt-grummeligen Carpenter zur Weißglut bringen. Wir denken auch an das historische Drama über die Geschehnisse in Selma, die ein wichtiger Meilenstein für die US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King wurden oder aber an den Krimi Mississippi Burning, der uns zeigte, wie tief gewachsen der Rassismus vor allem in den Südstaaten war und vielleicht heute noch ist. Tja, und dann hatten wir am gestrigen US-Wahltag ja die Chance, Chaplins Der große Diktator aus dem Jahr 1940 noch einmal im Kino zu sehen – ein Film, der es wagte, Hitler auf der Höhe seiner Macht zur Witzfigur zu machen und eine sehr prophetische Rede enthielt.

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DER GROSSE DIKTATOR

Filme wie diese wollen die Gesellschaft verändern, wollen politische und moralische Themen verhandeln – und im Idealfall dabei auch noch gut unterhalten, während wir gerade dank TikTok, X, Facebook und Co. kollektiv in den Wahnsinn reiten, die demokratischen Kräfte dort gegen die mit allen Wassern gewaschenen, skrupellos agierenden Populisten den Kürzeren ziehen und viele Menschen keine Zeit, keine Lust, aber vielleicht auch kein Geld und keine Gelegenheit haben, Kultur zu tanken.

Steve Bannon – einst offizieller Chef-Populist im Dienste Trumps, später umtriebiger und reichweitenstarker Fanboy – sagte einmal: "The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit. Die Welt mit Scheiße zu fluten – also mit Fake News, Verschwörungen und Hetze – funktioniert leider gerade ganz gut.

Auch wenn es uns heute besonders schwerfällt, möchten wir doch daran glauben, dass es etwas bewirkt, wenn man diese miesgelaunte, aggressive Spirale durchbricht, Filme wie die hier genannten und alle weiteren, die in den nächsten Jahren kommen werden, zelebriert und pusht und frei nach Steve Bannon sagt: "Flood the zone with the good shit!"

DK

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