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Bild zu Ingmar Bergman: Im Spiegel der Zeit

Ingmar Bergman: Im Spiegel der Zeit

Bis heute fasziniert das Werk des "originellsten aller Regisseure" (Truffaut). Jetzt sind viele weitere Filme von ihm auf sämtlichen digitalen ARTHAUS-Kanälen zu sehen.

17. Mai 2023

Es ist eine Illusion, dass das Leben mitunter nur so dahinplätschert. Was sich unter der Oberfläche tut, auch wenn scheinbar nicht aufsehenerregendes geschieht, offenbaren die Filme von Ingmar Bergman. Selbst wenn eines seiner Werke wie Von Angesicht zu Angesicht aus dem Jahr 1976 mit der Einstellung einer Wasseroberfläche beginnt. Diese Ruhe vor den Stürmen des alltäglichen inneren Aufruhrs könnte man fast schon als Bergmans Variante der Suspense betrachten. Wir wissen, dass etwas passieren wird, und dass wir uns als Publikum in dem Geschehen spiegeln werden wie in diesem sanft dümpelnden Gewässer.

Über die Jahre seit seinem Debüt 1946 hat der schwedische Autor und Regisseur die erweiterte Zweierbeziehung nach dem bürgerlichen Konzept – Mann und Frau (und Kind/er) – auf der Leinwand wieder und wieder seziert, seine Szenen einer Ehe sind heute ein Filmklassiker.

Wenn man nun das tut, was Bergman zu diesem Zweck so viele seiner Figuren tun ließ, nämlich die verstrichene Zeit in der Retrospektive zu betrachten – am bekanntesten ist diesbezüglich wohl sein Meisterwerk Wilde Erdbeeren –, fallen einem viele Parallelen zwischen einzelnen Szenen auf. Noch und nöcher gibt es Anknüpfungspunkte ans eigene Œuvre, da Bergman bei der Arbeit von Leitmotiven angetrieben wurde, so wie andere Menschen im Traum von den immer gleichen Bildern und Szenen verfolgt werden. Bergman macht solche sich wiederholenden Traumbilder quasi öffentlich und damit produktiv.
Von ihm selbst ist ein vielsagendes Zitrat überliefert: "Film as dream, film as music. No art passes our conscience in the way film does, and goes directly to our feelings, deep down into the dark rooms of our souls."

Bergman bei der Arbeit © Studiocanal

Bergman bei der Arbeit © Studiocanal

Mit diesem Wissen lässt sich das Ende von Bergmans An die Freude aus dem Jahr 1950 mit anderen Augen sehen. Der kleine Sohn des Violinisten Stig lauscht der Musik des Orchesters. Doch wie man ihn so auf seinem Stuhl sitzen sieht, könnte es auch das Leben des Vaters sein, das schließlich im eigenen Leben aufgehen wird – wie die Väter so die Söhne, heißt es nicht von ungefähr –, das er auf einer Kino-Leinwand vor sich ablaufen sieht. Man könnte auch sagen, er entwickelt diesen Film gerade in der Dunkelkammer seiner Seele, um mit Bergman zu sprechen.

Die Analogien von Orchester und Filmproduktion, von Musik und Bild, von Zusammenspiel der Instrumente und Dialog, von Realität und Traum, von Vergangenheit und Gegenwart: in dieser berührenden Einstellung fällt jedenfalls alles zusammen. Nicht zuletzt das Verhältnis von Schicksal und dessen Inszenierung.

Was war passiert? Ganz banal: Stigs Ehefrau Marta ist bei der Explosion eines Campingkochers ums Leben gekommen. Typisch Bergman, dass von diesem Moment der Katastrophe an Stig ihre Liebe in der Rückschau erleben lässt. Der Mensch kann die Zeit nicht zurückdrehen, aber im Kino ist es möglich. Immer wieder spielt Bergman mit dieser auch für den neorealistischen Ansatz so wichtigen Unterscheidung zwischen den Gesetzen des wahren Lebens und den Regeln des Films.

Hinzu kommt die Spiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse: Marta war die einzige weibliche Musikerin im Orchester, ihre bloße Anwesenheit wird vom Orchesterleiter als "unnatürlich" bezeichnet. Als Fremdkörper gerät Marta zum frühen Beispiel für die vielen komplexen Frauenrollen in den Filmen Ingmar Bergmans, mit denen er aus dem Rahmen seiner Zeit fällt. In einem Interview hat Bergman mal bekannt: "Es stecken viele Frauen in mir."

Liv Ullmann in "Von Angesicht zu Angesicht! © Studiocanal

Liv Ullmann in "Von Angesicht zu Angesicht! © Studiocanal

Eine davon ist die Hauptfigur aus Zeit mit Monika, der drei Jahre nach An die Freude entstand. Das Drama dreht sich um zwei junge Menschen zwischen unbändiger Romantik und Einstieg ins "normale" Leben. Monika (Harriet Andersson), die sich nichts gefallen lassen will, und Harry, der ebenso wie der feingeistige Violinist Stig die Gewalt des Patriarchats in sich trägt.

Nach der Zeit der Ausgelassenheit und des Ausbruchs aus bürgerlichen Zwängen – sinnbildlich lässt sich das verliebte Pärchen in einem Boot treiben – kommt es zur Schwangerschaft Monikas und zum Bruch. Neben dem wiederholten Aspekt der körperlichen Gewalt, ausgeübt durch den Mann, der sich später noch oft bei Bergman findet, etwa im erwähnten Von Angesicht zu Angesicht, in dem so viele seiner Leitthemen aufeinanderprallen, mit einer grandiosen Liv Ullmann im Mittelpunkt –, sind die Close-ups in Zeit mit Monika besonders beachtlich.

Gerade die gegen Ende mit dem Licht spielende Studie des Gesichts von Monika in der Kneipe … Das ist zum einen eine respektvolle Annäherung an eine geradezu unnahbare Erscheinung, fast schon eine femme fatale. Andererseits zeigt sich darin auch die Anklage der breiten Gesellschaft an diese aufmüpfige Frau. Im Übrigen nimmt die Sequenz, in der Monika situierten Bürgern einen Braten stiehlt, von ihnen als Ratte bezeichnet, vorgeführt, zugleich bemitleidet und für ihre Unangepasstheit schließlich verteufelt und auf der Flucht mit Hunden durch den Wald gejagt wird, die Ereignisse der kommenden 1960er Jahre geradezu gebündelt voraus.

Ja, diese Szenen erscheinen in der – Achtung! – Retrospektive visionär, was den eskalierenden Generationenkonflikt des folgenden Jahrzehnts angeht. Nur dass Monika und Harry aus der Arbeiterklasse stammen und nicht wie die meisten Radikalen der Sixties, die in den Untergrund abtauchten, aus bürgerlichen bis großbürgerlichen Familien. Der Pfarrersohn saß in diesem Fall hinter der Kamera. Aus dieser Position heraus klagte Bergman immer wieder die Doppelmoral der Mehrheitsgesellschaft an.

Krieg und Korruption sind die Themen von Schande aus dem politisch besonders bewegten Jahr 1968. Und wie könnte es anders sein, handelt es sich bei den Protagonist*innen um Mann und Frau. Beide sind Musiker*innen und ihre Geschichte, die sie in einen fiktiven Krieg verstrickt sieht, endet in einem Boot auf dem Meer.

Da treiben die beiden nun ohne Zukunftsperspektive. Das Übel ist längst an die Oberfläche gekommen, sie sind umgeben von den Leichen toter Soldaten. Diese Handlungs- und Figurenkonstellation dürfte heutige Regisseur*innen wie Ari Aster und Robert Eggers weiter unmittelbar beeinflussen. Schließlich ergben sich bei Bergman daraus Bilder, die einem nachgehen. Wie wiederkehrende Träume oder eingängige Melodien. Und die einem zugleich nahekommen wie Close-ups.

Oder der Blick auf das eigene Spiegelbild.

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WF

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