Zwei oder drei Dinge weiß wohl beinahe jede/r über Jean-Luc Godard. Noch mehr erfahren zu wollen – an diesem Impuls scheiden sich die Geister. Zum einen flößt allein der Name Godard Filminteressierten gehörigen Respekt ein. Schließlich ist er Synonym geworden für das, was die Deutschen Kino, die Franzosen jedoch mit leidenschaftlicherer Betonung sowie weiter gefasster Bedeutung "cinéma" nennen – eine feine und doch wichtige kulturelle Differenzierung, die auch Bert Rebhandl in seinem bei Zsolnay erschienenen Buch "Jean-Luc Godard – Der permanente Revolutionär" erwähnt. Zum anderen ist da jenes weite Feld der künstlerischen Ambitionen und Errungenschaften Godards, das manche/r durchaus mit der gebotenen Neugier zu durchmessen wagt, sobald er oder sie einmal Feuer gefangen hat. Und diese Beschäftigung ist bei nicht wenigen Fans bereits durch Godards Debütfilm Außer Atem entflammt worden. Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg spielen die Hauptrollen in einem der prägenden Werke der 1960 im Aufbruch befindlichen Nouvelle Vague. Aber es ist außerdem die neuartige Form dieses Krimis, die bis heute besticht. Raoul Coutards Kamera, die Musik, der Schnitt…die Chuzpe!
"A bout de souffle" – "Außer Atem" © Studiocanal
Autor Bert Rebhandl gehört zur Sorte Filmkritiker*innen, deren Texte man mit Gewinn liest – etwa in der FAZ–, selbst wenn man mit den besprochenen Filmen kaum etwas anfangen kann oder nicht vorhat, sie jemals anzusehen. Er stützt sich auf großes Filmwissen, verliert jedoch die reale Gegenwart nie aus den Augen. Gewohnt klug und unterhaltsam führt Rebhandl jetzt mit seiner Gesamtdarstellung des Godardschen Werkes – die nicht als Biografie missverstanden werden möchte, biografische Geschichten jedoch keineswegs ausspart, da sie aus den Filmen schlecht wegzudenken sind – in die intellektuellen Abenteuer eines Künstlers ein, dem es stets um Unabhängigkeit ging. Von Moden, von Produzenten, von Erwartungen des Publikums. Godard selbst war zunächst Kritiker, und so formulierte er die Ansprüche ans eigene filmische Schaffen, bevor er Regie führte und somit Auteur wurde. Eine Tätigkeit, durch die er seine Filmrezeption womöglich einfach von wilden Ideen und festen Vorstellungen in komplex montierte Filme transformierte. Aber was heißt schon einfach?
"Bande à part" – "Die Außenseiterbande" © Studiocanal
Die Vielschichtigkeit von Texten – sie ist ein Thema für sich. Aber wie man sich mit den mannigfaltigen Ebenen eines Filmes auseinandersetzen sollte – das zeigt Bert Rebhandl in diesem schlanken und doch prallen Buch auf wundervolle Weise. In sieben Abschnitte eingeteilt folgen wir also Leben und Werk des schweizerisch-französischen Ausnahmekulturmenschen Jean-Luc Godard. Den Aggregatzuständen seines privaten, politischen, künstlerischen Strebens. Im letzten Jahr "feierte" Godard seinen 90. Geburtstag, als öffentliche Figur tritt er weiter in Erscheinung, persönlich hat er sich längst in den Wohnsitz am Genfer See zurückgezogen. Dabei war er eigentlich immer für Schlagzeilen gut. So dürfen auch diese Aspekte nicht fehlen. Allerdings werden sie von Rebhandl niemals ausgeschlachtet. Es ist ja auch jedem erlaubt, mal selber nachzuforschen, welche Wellen Godards Beziehung zu Anna Karina geschlagen hat, was es mit dem lebensbedrohlichen Motorradunfall auf sich hat – und wie sich Godards politische Einstellungen entwickelten. Manches Vorurteil dürfte sich auf diese Art bestätigen, manches nicht. Der Mann ist an und für sich ein streitbares Wesen.
"Pierrot le fou" – "Elf Uhr Nachts" © Studiocanal
Überhaupt: Es muss nicht uneingeschränkten Spaß bereiten, die Filme von Godard zu schauen. Und doch: Es kann ein richtiges Vergnügen sein! Einzelne und vor allem frühe Glanzstücke wie Alphaville, Die Außenseiterbande, Die Verachtung – Le Mépris, Eine Frau ist eine Frau, Elf Uhr Nachts oder Der kleine Soldat finden sich ebenso im ARTHAUS-Repertoire wie das bereits erwähnte Debüt oder eine umfangreiche Jean-Luc Godard Edition. Perfektes Begleitmaterial zum Buch, könnte man sagen. Besonders gelungen an Bert Rebhandls Ausführungen erscheint nämlich die konzentrierte Beiläufigkeit, mit der er die Filmografie Godards Revue passieren lässt, um sie zugleich einzuordnen. Eine Deutung, die nicht belehrt, sondern antreibt. Nur keine falsche Scheu vor Godard. Seine Filme sind zum Anschauen da. Fürs Kino gemacht, lassen sie sich im Zweifelsfall auch auf der Couch genießen. Aber sie sind keinesfalls unantastbare Kunstwerke, die in irgendwelchen Museen Staub ansetzen.
Zum permanenten revolutionären Charakter der Filme Godards gehört letztlich die Aufforderung, auch bei der Rezeption nie einzuschlafen. Eine Bitte um Aufmerksamkeit, nein, eine werkimmanente Forderung, der Bert Rebhandl gewissenhaft nachkommt. Aber nach der Lektüre seines Buches ist man nicht bloß um vier oder fünf Wahrheiten über Jean-Luc Godard reicher. Man möchte vielleicht noch sechs oder sieben mehr wissen, die man wohl allerdings nur selbst beim Filmegucken in Erfahrung bringen kann.
WF