"Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden". So lautet eines der berühmtesten Zitate Rosa Luxemburgs. Deren Leben war geprägt vom Glauben an eine bessere Gesellschaft – und von den Worten, mit denen sie für diese Überzeugung kämpfte. Das belegen unzählige Artikel, Erklärungen und Briefe der beinahe manischen Schreiberin.
Regisseurin Margarethe von Trotta hat sich für ihren – nach seiner Hauptfigur benannten – Spielfilm tatsächlich einige Freiheiten herausgenommen. Zunächst einmal die Freiheit, das Projekt abzulehnen. 1982 war ihr angeboten worden, nach dem Tod Rainer Werner Fassbinders dessen letztes Vorhaben zu verwirklichen – eben ein Biopic über Luxemburg. Dass sie als Frau dafür prädestiniert sei, wie die Produzenten befanden, schreckte von Trotta aber eher ab. Es klang für sie nach einem scheinheiligen Argument. Frausein als Vorteil? Das sei ihr vollkommen neu gewesen.
Die historische Figur Rosa Luxemburg ließ die Filmemacherin allerdings nicht los. In ihrem Werk beschäftigt sie sich immer wieder mit "starken Frauen" – zum Beispiel Hildegard von Bingen oder Hannah Arendt –, allerdings als Selbstverständlichkeit, nicht als Aufgabe, die ihr von Männern gestellt wird, um der eigenen Weiblichkeit gerecht zu werden. Also vertiefte sie sich in die erhaltene Korrespondenz Rosa Luxemburgs und verfasste ein neues Drehbuch.
Rosa predigt den Fischen, beziehungsweise den Männern
Und Rosa Luxemburg ist eine verlockende Filmheldin. Sie war eine radikale Denkerin, das so genannte Schicksal hatte deshalb Teile ihres abenteuerlichen Lebenswegs geradezu vorgezeichnet: 1871 im galizischen Teil von Polen geboren, studierte sie in der Schweiz, einfach deshalb, weil die Universitäten anderer Länder, zum Beispiel Deutschlands, Frauen noch verschlossen waren. Dennoch strebte sie die deutsche Staatsangehörigkeit an, um sich in der SPD engagieren zu können, einer damals weltweit einflussreichen Partei.
Dort nahm um die Jahrhundertwende Rosa Luxemburgs politische Karriere Fahrt auf – freilich eine Laufbahn ohne Karrierismus –, die durch ihre kaltblütige Ermordung am 15. Januar 1919 jäh beendet wurde.
In der Zwischenzeit machte Luxemburg sich einen Namen als Verfechterin der Revolution der Arbeiterklasse und als Gegnerin des Ersten Weltkriegs, den die deutschen Sozialdemokraten 1914 durch ihre Zustimmung zu Kriegskrediten befeuerten – aus patriotischen Gründen, die Luxemburg als Nationalismus ablehnte. Sie scheute sich weder dies kundzutun, noch innerhalb der revolutionären Bewegung eine eigenständige Position zu beziehen. Ein Umsturz der Verhältnisse musste nach ihrer Auffassung von den einfachen Leuten ausgehen, nicht von der Partei. Hätte sie weitergelebt, wäre sie eine entschiedene Gegnerin des Stalinismus und der reinen Erhaltung der Macht durch Hüter der Ideologie gewesen. Noch ein vielsagendes Zitat gefällig? "Die Revolution sagt: ich war, ich bin, ich werde sein.“
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Wie bannt man das Wesen einer so außergewöhnlichen Frau bloß ohne Kitsch in einen Kinofilm? Neben der Aktivistin gab es – banale Feststellung – den Menschen Rosa Luxemburg. Der Film hält sich an wahre Begebenheiten, aber die Regisseurin erlaubte sich künstlerische Freiheiten, um die wahre Rosa unter dem Schein der Ikone sichtbar zu machen. Wobei das Private, selbst das Intime, eng mit Luxemburgs politischen Aktivitäten verwoben ist. Es gehört zu den Leistungen von Trottas, dass sie da keine Gräben zieht. Selbst wenn Rosa Luxemburg für die Natur schwärmte oder sich nach bürgerlicher Zweisamkeit sehnte – an ihrer Haltung zur Gesellschaft und den Kräften, die sie verändern sollten, änderte das nichts. Davon abgesehen, dass die Natur und das Klima heute politischer denn je erscheinen.
Politische Gräben gab es reichlich, noch bevor die Schützengräben des Ersten Weltkriegs sich mit Leichen füllten. In Russland spaltete sich die radikale Linke Anfang des Jahrtausends bekanntlich in mehrere Richtungen. Die Forderungen der deutschen Sozialdemokratie wurden immer moderater. Luxemburg solle sich lieber um die Angelegenheiten der Frauen kümmern, wird ihr im Film vom prominenten SPD-ler August Bebel empfohlen. Wenig überraschend. Solche tollen "feministischen" Ratschläge von Männern sind ja bis heute keine Seltenheit.
Rosa Luxemburgs Bruch mit der Mehrheit der SPD war nicht mehr zu kitten. Karl Liebknecht, sie und andere gründeten den Spartakusbund. Als sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland Arbeiter- und Soldatenräte bildeten – Vorbild waren die Sowjets der russischen Oktoberrevolution – verteidigte die SPD die Demokratie gegen diese radikalen Kräfte und hatte nun dieselben Feinde wie jene Freikorps, aus denen dann die Nationalsozialisten hervorgingen.
Als Jüdin und Kommunistin wäre Rosa Luxemburg von ihnen im Dritten Reich verfolgt worden, genauso wie viele ihrer ehemaligen Genossen. Wäre es verwegen zu behaupten, dass es zur Herrschaft der Nazis gar nicht hätte kommen müssen, wenn die rechten Schergen Luxemburg und Liebknecht nicht getötet und in den Landwehrkanal geworfen hätten? Hauptdarstellerin Barbara Sukova, die im ersten Moment nicht als ideale Besetzung erscheint, bestärkt die Zuschauer nach und nach in dieser Vermutung. Von der ersten Szene – der Film beginnt mit einem von Luxemburgs prägenden Gefängnisaufenthalten – bis zum bitteren Ende spielt sie die von Kindheit an humpelnde Revolutionärin ohne großes Gehabe aber mit viel Attitüde und Aura. Dieser Frau, die da zu sehen ist, traut man alles zu. Letztlich dürfte das ja auch der Grund für ihre heimtückische Ermordung gewesen sein.
Eine historisch verbriefte Liebe: Leo Jogiches und Rosa Luxemburg
Eine große Rolle in Luxemburgs Leben und in von Trottas Film nimmt Leo Jogiches (Daniel Olbrychski) ein. Er fügt der Handlung nicht nur die Komponente einer leidenschaftlichen Love-Story bei. An der Beziehung zwischen Luxemburg und Jogiches – sie die großartige Rednerin und Autorin, er der entschlossene Organisator im Untergrund – lassen sich die politischen Verwicklungen und Auseinandersetzungen, die innerparteilichen Verwerfungen und Strategien wunderbar aufzeigen. Schon die Biografin Elzbieta Ettinger sah in dieser Beziehung einen zentralen Aspekt von Rosa Luxemburgs Leben und Wirken. Festgehalten in klugen und emotionalen Liebeserklärungen.
Margarete von Trottas Rosa Luxemburg könnte in den 1980er Jahren Menschen Mut gemacht haben, sich gegen Aufrüstung, Atomkraft und andere Gefahren zu wehren, die auch von demokratischen Parteien heraufbeschworen wurden. In seiner formalen Schönheit und gewissenhaften Strenge erscheint er aber nicht an die Zeit seiner Entstehung während des Kalten Kriegs gebunden, sondern wirkt fast schon zeitlos – wo im jetzigen Europa gibt es eine solche antinationalistische Berühmtheit? Greta Thunberg und ihren Mitstreiter*innen sollte dieses Luxemburg-Porträt gefallen, falls sie sich nicht nur für den wichtigen Klimaschutz sondern auch für die Geschichte sozialer Kämpfe und nicht zuletzt für gute Filme interessieren. Man soll Äpfel nicht mit Birnen, Rosas nicht mit Gretas vergleichen aber in ihrer Entschlossenheit, einen eigenen Weg zu gehen, sind sich die beiden doch durchaus ähnlich.
WF