Am 21. Februar 2022 feiert die Schauspielerin und Filmemacherin Margarethe von Trotta ihren 80. Geburtstag. 2019 erhielt sie bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises den Ehrenpreis für ihre "herausragenden Verdienste um den deutschen Film" – und wurde damit als erste weibliche Regisseurin dort ausgezeichnet, beinahe 45 Jahre, nachdem sie das erste Mal das Agieren vor der Kamera gegen das Dirigieren hinter der Kamera eingetauscht hatte.
"Die verlorene Ehre der Katharina Blum", 1975 © Studiocanal
Ihr Debüt ist legendär: An der Seite Volker Schlöndorffs zeichnete Margarethe von Trotta 1975 als Ko-Autorin und -Regisseurin für die Verfilmung von Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum verantwortlich. Literaturnobelpreisträger Böll hatte den Roman nach einer Auseinandersetzung mit der Bild-Zeitung verfasst, die ihn persönlich angriff, weil er Anfang der 1970er "freies Geleit" für die flüchtigen Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) gefordert hatte. Böll verlangte damals nicht, dass die Terrorist:innen straffrei davonkommen sollte. Er war schlicht überzeugt, dass sie in Gesprächen mit dem Staat zur Aufgabe bewegt werden konnten. Die Regierung sollte in seinen Augen Baader, Meinhof und die anderen ebenso wie die breite Öffentlichkeit beschwichtigen, statt den Polizeiapparat aufzurüsten und somit eine Gewaltspirale in Gang zu setzen; einen Prozess, der kaum zu stoppen ist.
"Das zweite Erwachen der Christa Klages", 1978 © Studiocanal
Die Geschichte der Eskalation um inhaftierte RAF-Gefangene bis hin zum berüchtigten "Deutschen Herbst" im Jahr 1977 gibt ihm aus heutiger Sicht Recht. Aber Springers Boulevardblatt, das bereits in den Jahren zuvor im Dauerclinch mit den revoltierenden Student:innen und "68ern" gelegen hatte, erklärte Böll daraufhin zum RAF-Sympathisanten. Eine veritable Rufmordkampane gegen den international gefeierten Schriftsteller, dem man ohne böswillige Absicht wahrlich keinen Hang zur Gewalt andichten konnte, und der sich durch seinen Vorschlag als Künstler mit linkem Gewissen zudem zwischen alle Stühle gesetzt hatte. Schließlich lastete in den 1970ern zum Teil ein erheblicher Druck auf einer bürgerlichen, staatskritischen Prominenz, der die Militanten im Untergrund vorhielten, nichts zu tun, um die Verhältnisse zu ändern.
"Schwestern oder Die Balance des Glücks", 1979 © Studiocanal
Eine seltsam beklemmende Atmosphäre, die man sich im Jahr 2022 kaum noch auszumalen vermag, und die Böll, Schlöndorff und von Trotta dazu brachte, ihre eigenen Waffen zu wählen: die Mittel des Erzählens und des Films sowie des Zweifels als konstruktivem Widerspruch zur ideologischen Verbohrtheit und Verrohung; auf die Gefahr hin, durch diese Wahl weiterhin überall anzuecken. Rainer Werner Fassbinder, bekannt für die Aussage »Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme«, hatte künstlerische und politische Eigenständigkeit derweil mit seinem auf jegliche Autorität bezogenen Selbstbild erklärt: "Ich schieße einfach in jede Richtung." Bedeutet in seinem wie in von Trottas Fall eben, 24 Bilder pro Sekunde zu schießen.
"Die bleierne Zeit", 1981 © Studiocanal
Margarethe von Trotta erzählte in einem Gespräch mit dem ARTHAUS-Magazin 2019 rückblickend: "Es gab ja die Vorgeschichte, dass Heinrich Böll von der Bild-Zeitung diffamiert worden war. Er schickte uns die Fahnen, bevor das Buch in Druck ging, weil er annahm, dass die Geschichte uns auch aus politischen Gründen interessierte. Es handelte sich bei Die verlorene Ehre der Katharina Blum um eine gemeinsame Anstrengung, die Realität in den Griff zu bekommen. Der Film war ein richtiger Aufmischer. Viele Leute waren dafür, aber es gab auch einige Gegner. Das merkten wir schon bei den Dreharbeiten in Köln. Von der Heimatstadt Bölls hatten wir uns eigentlich Unterstützung erhofft, das Gegenteil war der Fall. Wir wurden teilweise beschimpft, ein Pfarrer ließ uns nicht in seiner Kirche drehen."
"Heller Wahn", 1983 © Studiocanal
Besonders bemerkenswert erscheint bis dato Folgendes: Noch bevor das Buch in Druck war, ließ Heinrich Böll es also den beiden Filmemacher:innen Schlöndorff und von Trotta zukommen. Man muss in diesem Sinne sowohl von einem intervenierenden Text als auch von einem sich einmischenden Film in stark politisierten Zeiten sprechen – nicht nur wegen der Hintergrundgeschichte und der Handlung um die von den Medien verleumdete Hauptfigur, sondern eben auch wegen der erwähnten "gemeinsamen Anstrengung, die Realität in den Griff zu bekommen".
"Rosa Luxemburg", 1986 © Studiocanal
Drei Künstler:innen hatten sich zusammengetan, um im öffentlichen Diskurs ein Ausrufezeichen zu setzen! Der Film mit einer famosen Angela Winkler als Katharina Blum, der mittlerweile als essayistisches Lehrstück über öffentliche Vorverurteilung durch einen Shitstorm avant la lettre und über die Logik von Gewalt, die nur Gegengewalt erzeugt, gelesen und gesehen werden muss, sorgte auch nach Erscheinen für Kontroversen. Es ist bezeichnend für Margarethe von Trottas filmemacherische Karriere, dass sie fortan weiter Stoffe anpackte, die sich an schwelenden Konflikten rieben.
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Margarethe von Trotta – Die frühen Filme mit Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Das zweite Erwachen der Christa Klages, Schwestern oder Die Balance des Glücks, Die bleierne Zeit, Heller Wahn und Rosa Luxemburg. Digital restaurierte Fassungen in 2K und 4K auf 6 Blu-rays inklusive umfangreichem Booklet.
WF