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Über den Dächern von Nizza: Hitchcock am Steuer

Jetzt neu bei ARTHAUS+: In seinem Filmjuwel der 1950er-Jahre mit Grace Kelly und Cary Grant verbindet der Meister der Suspense Thriller und Romantik. Vor allem die Autofahrten und Dialoge haben es in sich.

05. Juni 2024

Die Geschichte von Über den Dächern von Nizza ist eng mit der persönlichen Geschichte von Grace Kelly verknüpft, das selbst wiederum filmreif ist. Heute kann man die berühmten Autofahrten im romantischen Hitchcock-Krimi – für sich genommen schon äußerst spektakuläre Szenen – nicht betrachten, ohne den späteren Tod Kellys durch einen Autounfall am Ort der Dreharbeiten im Hinterkopf zu haben. Das ist jene Spur Tragik, die diesem Hitchcock-Juwel der 1950er Jahre eine ungeahnte zusätzliche Aura verleiht.

Kelly hatte kurz nach ihrem dritten Film mit Hitchcock 1956 den monegassischen Fürsten Rainier geheiratet. Sie verwandelte sich auf der Bühne des öffentlichen Interesses in die Yellow-Press-Ikone Gracia Patricia – und gab ihre Schauspielkarriere wegen Unvereinbarkeit mit der neuen Existenz auf. Die Hochzeit zog ein derartiges mediales Interesse auf sich, dass Vergleiche mit der Vermählung von Charles und Diana 1981 auf der Hand liegen. Dieses Ereignis bekam Grace Kelly sogar noch zu Lebzeiten mit, und falls sie es vor dem Fernseher live verfolgt hat, dann dürfte sie sich an Dianas Stelle versetzt und längst gewusst haben, dass deren Schicksal als potenzielle Königin ein echtes Drama werden würde.

Im Dunkeln lässt sichs funkeln © Paramount Pictures. All Rights Reserved.

Im Dunkeln lässt sich's funkeln © Paramount Pictures. All Rights Reserved.

Grace Kellys Abschied vom Filmgeschäft hatte zunächst auch Auswirkungen auf Hitchcocks Werk, der nach den Erfolgen von Bei Anruf Mord und Das Fenster zum Hof noch einige weitere Projekte mit Kelly geplant hatte. Unter anderem sollte sie in Vertigo die Hauptrolle spielen. In seinem bekannten Buch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" stellt François Truffaut die Koinzidenz zwischen der Vertigo-Handlung um die Doppel- beziehungsweise Wiedergängerin einer Toten und der realen Kelly-"Ersatzdarstellerin" Kim Nowak fest. Auch in diesem Fall entstand also durch den unbeabsichtigten Einfluss Kellys so etwas wie ein besonderes Flair, das sich sogar Hitchcocks Regiekünsten entzog. So leid es ihr tat, Hitchcock die Zusammenarbeit aufkündigen zu müssen, Grace Kelly glänzte fortan vor allem in ihrer Rolle als Fürstin des Steuerparadieses – bis sie 1982 mit ihrer Tochter Stéphanie an der Côte d‘ Azur verunglückte und kurz darauf im Krankenhaus verstarb.

Etwas weniger dramatisch klingt der Plot von Über den Dächern von Nizza. Der ehemalige Juwelendieb John Robie wird verdächtigt, nach seiner Rehabilitation als Mitglied der Résistance und dem Rückzug in sein luxuriöses Anwesen an der Küste wieder Diebstähle zu begehen. Der von Cary Grant gespielte Robie schlägt der gebeutelten Versicherung einen Deal vor: Man händige ihm die Liste von möglichen Opfern der neuen "Katze" aus, die seine einstige Handschrift als Dieb perfekt imitiert, und er wolle versuchen, dieser Copy Cat ein Schnippchen zu schlagen, um seinen Ruf wiederherzustellen. Dabei trifft er auf Grace Kelly als Tochter einer mit Diamanten behangenen Upper Class Lady. Eine der zentralen Szenen in Über den Dächern von Nizza ist das rasante Date entlang der Serpentinen. Die zunächst aufreizend zurückhaltende Francie Stevens entpuppt sich dabei als äußerst gewieft und gibt im edlen Cabriolet mächtig Gas.

Glamour an der Côte dAzur © Paramount Pictures. All Rights Reserved.

Glamour an der Côte d'Azur © Paramount Pictures. All Rights Reserved.

Aufs Gaspedal drücken auch die Dialoge des stilprägenden Suspense Thrillers, der in Stanley Donan einen prominenten Verehrer und Nachahmer fand. Hitchcock verknüpft vor der Kulisse der französischen Riviera nicht nur gekonnt die Romantik mit dem Kriminalfall – und offenbart atemberaubende filmische Eleganz, wenn er etwa tief im Hintergrund des Bildes ein spektakuläres Feuerwerk inszeniert. Es gibt haufenweise erotische Anspielungen, die man als gediegene Frivolität bezeichnen könnte. Diese kommt in der deutschen Fassung ebenfalls zum Tragen, wohingegen man bei der Synchronisation viele Bezüge Robies auf die Zeit als Widerstandskämpfer gegen die Nazis tilgte. Obwohl Hitchcock sich auch angesichts dieser ernsten historischen Sache britischen Humor nicht verkneifen konnte. Die Deutschen verstanden in diesem Fall keinen Spaß.

Siebzig Jahre nach dem Entstehen von Über den Dächern von Nizza ist es überhaupt ganz erstaunlich zu sehen, wie Alfred Hitchcock die beinahe außerweltliche Präsenz von Grant und Kelly sowie die Künstlichkeit seiner Einstellungen und die Perfektion der Kulissen, Kostüme, Requisiten mit der Realität des Lebens außerhalb der Kinosäle verknüpft. Hitchcock wollte, dass sich das Publikum vom Funkeln der Diamanten verzaubern lässt, blenden wollte er die Zuschauer*innen höchstens in Bezug auf den überraschenden Twist bei der Enttarnung des Täters. Auch das gelingt Hitchcock am Steuer in dieser Tour de force von Drehbuch-Haarnadelkurve zu Drehbuch-Haarnadelkurve mit großem Geschick, kreativer Risikobereitschaft und der nötigen Beiläufigkeit. Letztere lässt jene Gefahren vergessen, die eine solche Geschichte schnell über die Klippen springen und in seichte Gewässer stürzen lässt. Der Film ist stattdessen ein wahres Schmuckstück.

WF

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