Man mag es kaum glauben, aber der Hauptpreis bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig ist die erste der wichtigsten Auszeichnungen für Pedro Almodóvar bei einem der drei wichtigsten europäischen Festivals in Italien, Frankreich und Deutschland – abgesehen von einem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Schon 2019, als er den in Händen hielt, sollte allen klar gewesen sein, dass Almodóvars Schaffen nicht beendet und der künstlerische Höhepunkt für den Spanier ebenfalls noch nicht erreicht war.
The Room Next Door und Almodóvar setzen nun nicht nur die lange Reihe von Filmen und Filmemacher*innen aus dem ARTHAUS-Programm fort, die in den Siegerlisten von Venedig stehen – (beispielsweise Alain Resnais mit Letztes Jahr in Marienbad, René Clément mit Verbotene Spiele, Michelangelo Antonioni mit Die rote Wüste, Luis Buñuel mit Belle de Jour – Die Schöne des Tages, Margarethe von Trotta mit Die bleierne Zeit, Wim Wenders mit Der Stand der Dinge, Krzysztof Kieślowski mit Drei Farben: Blau, Mike Leigh mit Vera Drake) – er setzt auch Almodóvars eigener Schöpfung die Krone auf. Sie reicht bekanntlich von den frühen, oft schreiend komischen Kostümorgien Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Kika oder High Heels – Die Waffen einer Frau, über die waschechten Melodramen wie Alles über meine Mutter, Parallele Mütter, Sprich mit ihr oder Leid und Herrlichkeit bis zu den späten Kurzfilmen, in denen das Autobiografische und das Stoffliche, das Kulissenhafte und das Menschliche sich auf besonders prägnante Art vereinen: Strange Way of Life und The Human Voice.
Dass die Jury um die französische Filmikone Isabelle Huppert ihm den Triumph kurz vor seinem 75. Geburtstag am 25. September vergönnte, mag wie das i-Tüpfelchen erscheinen, und die Tatsache, dass der Preis von Venedig seit Almodóvars Geburtsjahr als "Löwe" tituliert wird, macht daraus ein Perfect Match. Wie dem auch sei, The Room Next Door mit Julianne Moore, Tilda Swinton und John Turturro, der von der Süddeutschen Zeitung als Feel-Good-Movie über das Sterben bezeichnet wurde, rechtfertigt die Würdigung allemal. Er geht unter die Haut, ohne einen beim Zuschauen fertig zu machen, überzeugt mit tollem Ensemble und ist das Resultat des Reifeprozesses, den man bei Almodóvar feststellen kann – doch er stellt sicher nicht das Ende seiner kreativen Arbeit dar. Die Frage sei erlaubt, was ein Pedro Almodóvar sich jetzt noch wünschen kann, wenn er die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte ausbläst? Wir wappnen uns mit ihm für die Feierlichkeiten zum Wiegenfest und sind gespannt auf die Filme und Auszeichnungen, die noch kommen.
WF