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Lieblingsszenen: Meister Hora erklärt Momo die Zeit

John Huston prägte die Filmgeschichte wie kein Zweiter. Ob als Regisseur oder wie in Momo als Schauspieler.

05. Juni 2023

Es gibt herausragende Persönlichkeiten der Filmgeschichte – und es gibt Persönlichkeiten, die man automatisch mit der Filmgeschichte gleichsetzt.

John Huston gehört zur zweiten Kategorie Filmschaffender. Er hat das Kino gelebt und das Medium nicht nur von dessen Kindesbeinen an begleitet, sondern entscheidend geprägt. Den meisten Filmliebhaber*innen wird sicherlich zunächst seine "Humphrey-Bogart-Trilogie" in den Sinn kommen. Innerhalb eines Jahrzehnts realisierte er zwischen 1941 und 1951 Die Spur des Falken, Der Schatz der Sierra Madre und African Queen mit Bogart in der Hauptrolle. Radikale Meisterwerke wie Fitzcarraldo von Werner Herzog oder Apocalypse Now von Francis Ford Coppola wären ohne jene ganz besondere Bootstour mit Katharine Hepburn an Bogarts Seite kaum denkbar.

Und dieser gewisse Typus Mann, den Humphrey Bogart verkörperte, war für Huston stets Ideal und Reibungsfläche zugleich. Hinter der Kamera ging es schon mal hoch her, wenn der für seine liberalen Ansichten noch in den dunkelsten Episoden Hollywoods der McCarthy-Ära allseits bekannte Huston etwa mit John Wayne aneinandergeriet, dem die autoritäre Ader Hustons unangenehm aufstieß. Vielleicht lag es daran, dass man zu gewissen Zeiten seine freiheitlichen Überzeugungen mit einem erhöhten Grad an Entschiedenheit gegen die herrschenden Widerstände durchsetzen musste, um ihnen den Weg auf die Leinwand zu bahnen. Wobei Hustons Werk oft genug von nachträglicher Zensur – und sei es bloß eine kommerziellere Ausrichtung betreffend – durch die Studios unterworfen war.

Die Unangepasstheit von John Huston, der 1906 als Nachfahre schottischer und irischer Einwander*innen in Nevada geboren wurde, mag dazu geführt haben, dass er sich bei aller stilbildenden Arbeit am Noir-Genre nie auf eine bestimmte Sorte Inszenierung festlegen ließ. Bei den männlichen Figuren schienen ihn jedoch mehr und mehr die Brüche zu interessieren als die coole Fassade – wie etwa in Moulin Rouge, seiner Auseinandersetzung mit der Biografie des Malers Toulouse-Lautrec. Oder im stürmischen Junggesellenausflug Moby Dick samt obsessivem Ahab und seinen Mannen (Stichwort Bootstour).

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Nach den glorreichen Zeiten in den 1940er, 50er und 60er Jahren (zu nennen wären unter anderem sein Star-besetztes Außenseiter-Drama Misfits – Nicht gesellschaftsfähig sowie der etwas andere Bond-Film Casino Royale) erlebte John Huston fast schon passenderweise einen zweiten Frühling, sofern man einen Teil seiner Karriere als Midlife Crisis betrachten möchte.

Dieses künstlerische Wiedererwachen ist belegt durch drei Filme unter seiner Regie aus 1980ern: Die Malcom Lowry-Adaption Unter dem Vulkan dreht sich um die Themen Politik, Krieg und den alles zersetzendem Männlichkeitswahn, was zusammengenommen in der Figur des alkoholkranken Konsuls Geoffrey Firmin Gestalt annimmt. In Die Ehre der Prizzis widmet sich Huston auf sagenhafte und sehr erfolgreiche Weise den Zusammenhängen zwischen staatlicher Gewalt und Korruption in mafiösen Verstrickungen. Mit Die Toten nahm er sich einer Vorlage von James Joyce an und trieb die Wurzelsuche soweit, dass seine Tochter Anjelica Huston die Hauptrolle übernahm. Der Film stammt von 1987, dem Todesjahr John Hustons.

Eine Beschäftigung mit der Filmgeschichte ist auch eine besondere Art der Forschung über das Vergehen der Zeit. Wie zeitliche Wirbel schäumen einzelne Werke vor Zeitgeist und verschlucken gleichzeitig die Zeichen ihrer Entstehungsepochen. Über die Jahrzehnte trat John Huston auch immer wieder als Schauspieler in Erscheinung, somit konnte man ihn beim Älterwerden beobachten und ins Gesicht schauen, in dem die Ringe unter den Augen denen eines Baumes glichen, an wlechen man dessen Lebensalter ablesen kann. Eine seiner schönsten Rollen spielte er 1986. Da gab er in Momo nach Michael Ende den weisen Meister Hora, der schließlich dem aufgeweckten Waisenmädchen die Zeit erklärt. Ein beeindruckender finaler Auftritt als Verwalter der Zeit. Gibt es ein besseres Bild für einen leidenschaftlichen Geschichtenerzähler?

WF

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