Federico Fellini war ein leidenschaftlicher Zeichner und Kritzler. Zu Lebzeiten wehrte sich der Regie-Altmeister stets gegen eine Veröffentlichung dieser Zeichnungen. Sie waren für ihn eine Spielerei: Er fertigte satirische Portraits seiner Freund*innen und Schauspieler*innen an, zeichnete Dominas mit Cartoon-artig großen Brüsten, skizzierte Persiflagen seiner eigenen Filme. Erst Jahre nach Fellinis Tod wurden sie in Büchern und in diversen Ausstellungen mit der Öffentlichkeit geteilt.
© Achteinhalb (8 1/2) (Huit Et Demi / Otto E Mezzo, IT/FR 1962 , Regie: Federico Fellini) Sandra Milo, Marcello Mastroianni / Frau umarmt Mann, Verführung)
Unter den bekannten Zeichnungen gibt es ein Portrait namens "Marcello" (das Sie hier sehen können), das natürlich Marcello Mastroianni zeigt. Auch wenn Fellini vermutlich entschieden widersprechen würde, kann man in dieser Karikatur ein wenig erkennen, wie er Mastroianni sah. Selbst in diesem übersteigerten Motiv spricht eine große Traurigkeit aus Mastroiannis Gesicht. Unter buschigen Brauen hat er die Augen geschlossen, die Falten von der Nase zum Mund sind tief und furchig, im Mundwinkel hängt die obligatorische Zigarette – jenes Laster, das bestimmt eine Rolle bei Mastroiannis Krebstod am 19. Dezember 1996 in Paris gespielt hatte. Aber es sind vor allem die Lippen, die den Blick einfangen: Ein überproportionaler, ungemein feminin gezeichneter Kussmund, den man ohne den Rest des Bildes zu sehen todsicher einer Frau zugedacht hätte. Ein spannendes Detail – vor allem, wenn man bedenkt, dass Marcello Mastroianni über Jahre das Bild des italienischen Mannes prägte. Man nannte ihn "Macho mit den traurigen Augen", "Der perfekte Playboy" und "Latin Lover" – was ihm stets widerstrebte.
Marcello Mastroianni selbst sagte oft, er sei mit seinem Aussehen unzufrieden, spielte seine Leinwandpräsenz ironisch runter und nannte sich laut seiner Lebenspartnerin in den 70er, Catherine Deneuve, einen "liebenswerten Feigling". Deneuve und er haben eine Tochter, die Schauspielerin Chiara Mastroianni, und es passt sehr gut in diesen Text, der auch auf das leicht gebrochen Männerbild von Marcello Mastroianni schaut, dass Chiara im neuen Film von Christophe Honoré, Marcello Mio, eine Version ihrer selbst spielt, die sich nach einer Identitätskrise nach und nach in Marcello verwandelt.
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Auf Marcello Mastroianni wurden über die Jahre diverse Männerbilder projiziert, denen er stets seinen eigenen, depressiven, charmanten, oft leicht orientierungslosen Twist gab. Man verbindet ihn heute natürlich oft mit seinen großen Rollen für Fellini – und tatsächlich landete dieser einen Scoop, als er Mastroianni und Anita Ekberg 1960 für La Dolce Vita castete und die beiden zu Ikonen machte. Mastroianni hatte sich da aber schon ein sehr gutes Standing erspielt, vor allem dank seines ersten von insgesamt 13 Filmen an der Seite von Sophie Loren, Schade, daß du eine Kanaille bist, aus dem Jahr 1954.
Aber seine erste Zusammenarbeit mit Fellini sorgte dann eben für den finalen Durchbruch. La Dolce Vita wurde erst zum Kinohit, dem die konservative, christliche Empörung eher in die Verkäufe spielte und später zum Klassiker. Aber obwohl Mastroianni als von Selbstzweifeln geplagter Boulevardreporter Marcello Rubini später mit der für viele damals schönsten Frau der Welt in den Brunnen steigt – Anita Ekberg als Sylvia – hadert er mit sich, wirkt neben der Spur und ist manchmal fast tölpelhaft. Auf die Spitze treibt Marcello Mastriollani das Spiel mit dem Mann-Sein dann natürlich in Fellinis Stadt der Frauen oder zum Beispiel in der Harems-Szene aus Achteinhalb, die ehrlich gesagt nicht so gut gealtert ist.
Trotzdem wäre es falsch, Marcello Mastriollani nur über seine Fellini-Rollen zu entdecken. Die Chemie zwischen ihm und Sophie Loren strahlt zum Beispiel ebenfalls aus den gemeinsamen Filmen – und sogar aus einem der seltenen Interviews, das er mal mit ihr im amerikanischen Fernsehen gab. Hier ist neben dem bereits erwähnten Schade, daß du eine Kanaille bist vor allem der Episodenfilm Gestern, heute und morgen von Vittorio De Sica aus dem Jahr 1963 zu nennen, in dem Mastriollani den stressgeplagten Ehemann einer neapolitanischen Zigarettenverkäuferin spielt, die unbedingt schwanger werden muss, damit sie für ihre Schmuggelware nicht in den Knast muss. Schade nur, dass ihr Mann gerade nicht kann – und will.
Außerdem sollte man natürlich Luchino Visconti nennen, der als eigentlicher Entdecker von Marcello Mastriollani, der ihn in sein Theater-Ensemblue holte und ihn später unter anderem für die ikonische Rolle als Der Fremde in der Albert-Camus-Verfilmung besetzte.
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Eines der stärksten Zitate über Marcello Mastriollanis Selbstverständnis als Mann stammt aus dem Jahr vor seinem Tod, als er einem amerikanischen Journalisten die Frage beantworten sollte, welche Qualitäten ihm an einer Frau wichtig wären. Kokett, charmant und sehr doppelbödig antwortete er: "Ich bin zu alt, um über diese Dinge zu sprechen. Sie in Amerika haben immer diese schreckliche Vorstellung, mir diesen Stempel vom Latin Lover zu verpassen. Das ist absolut verrückt, denn wenn Sie sich meine Filme einmal wirklich ansehen, werden Sie feststellen: Ich war immer das Opfer von Sophia Loren, ich war impotent, ich war homosexuell, ich war schwanger."
DK